Glanz
legte, fühlte sie sich warm an.
Ich öffnete das Tor einen Spaltbreit, und Hitze schlug mir entgegen. Die Welt dahinter schien in Flammen zu stehen. Unter einem schwarzen Himmel brannten die Balken eingestürzter Holzhäuser. Die Straßen waren mit zerbrochenen Ziegeln bedeckt. Dazwischen lagen verkohlte |250| Körper herum. Der Anblick erinnerte mich an den Grund der Tartaros-Schlucht.
Ich glaubte, eine Gestalt zwischen den Trümmern herumirren zu sehen. »Eric?«, rief ich, doch wenn er es war, dann hörte er mich nicht.
Ich trat durch den Rahmen. Auf dieser Seite schien das Tor der Eingang zu einer Art Tempel zu sein, von dem jedoch nur noch die Grundmauern standen. Ich hob einen vom Feuer heißen Dachziegel in der Nähe auf und legte ihn so in den Rahmen, dass das Tor nicht von allein zufallen konnte.
Dann ging ich langsam in die Richtung, in der ich die Gestalt gesehen hatte. Immer wieder sah ich mich um, voller Sorge, den Weg zurück zur Ebene der Tore nicht mehr zu finden. Über dem Prasseln des Feuers waren Schreie zu hören und das ferne Dröhnen von Motoren, gelegentlich auch das rhythmische Donnern von Artillerie. Offenbar befand ich mich in einem Kriegsgebiet.
Dichte Rauchschwaden behinderten die Sicht. Ich entdeckte ein verkohltes Holzschild am Boden und hob es auf. Es war mit chinesischen oder japanischen Schriftzeichen bedeckt.
Die Gestalt, die ich gesehen hatte, wankte um eine Häuserecke. Ihre Kleidung hing in Fetzen von ihr herab. Sie hob einen Arm, wie um mich zu grüßen. Dann brach sie zusammen.
Ich rannte auf sie zu und beugte mich hinab. Entsetzt stellte ich fest, dass die Fetzen an ihrem Körper nicht Kleidung waren, sondern abgeplatzte Haut. Das stellenweise verbrannte, aufgequollene Gesicht war das eines älteren asiatischen Mannes. Er schaute mich mit geweiteten Augen an und sagte etwas, das ich nicht verstand. Dann stieß er eine Art Seufzen aus, und sein Blick wurde leer. |251| Ich erhob mich. Meine Kehle schmerzte vom beißenden Qualm, und ich spürte schrecklichen Durst. In welchen Alptraum war ich hier geraten?
Es begann zu regnen. Ich starrte auf meine Hände, auf die dicke Tropfen fielen, schwarz und zähflüssig wie Öl. Ich wusste plötzlich, wo ich diesen schwarzen Regen schon einmal gesehen hatte: in einer Fernsehdokumentation zu den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki. Radioaktiver Staub, von einer atomaren Explosion aufgewirbelt, kühlte sich ab und ging als hochgiftiger Niederschlag nieder. Tausende waren gestorben, weil sie damit in Berührung gekommen waren oder den Regen in ihrer Not getrunken hatten.
Mir wurde übel, und ich musste mich immer wieder daran erinnern, dass diese Welt nicht real war. Es war unwahrscheinlich, dass ich Eric hier finden würde, also ging ich, so schnell ich konnte, zurück zum Tor. Wieder auf der Ebene der Tore angekommen, atmete ich erleichtert auf.
Ich fragte mich, wo Eric diese schrecklichen Bilder gesehen hatte. In der Schule vielleicht. Sein Unterbewusstsein hatte sie zu einem düsteren Traum innerhalb eines Traums verarbeitet. Doch für die Menschen in Hiroshima und Nagasaki war es die schreckliche Realität gewesen.
Frustriert sah ich mich um. Es würde Jahrhunderte dauern, all die Türen, die mich umgaben, auch nur zu öffnen, geschweige denn, die Welten dahinter nach Eric abzusuchen. Wenn ich ihn nicht hier auf der Ebene der Tore fand, würde ich ihn niemals finden.
Wahrscheinlich hatte er eine Weile neben dem Tor gewartet, durch das wir hierhergekommen waren. Seitdem mochten in Erics Traumwelt Wochen vergangen sein, vielleicht sogar Monate. Irgendwann musste er beschlossen haben, das Tor des Lichts auf eigene Faust zu suchen. Also |252| bestand meine einzige Chance, ihn zu finden, darin, dasselbe zu tun. Vielleicht war unter den zahllosen Türen eine, die irgendwie anders war. Eine, die man als das Tor des Lichts erkennen konnte.
Stundenlang irrte ich über die Ebene. Es war leicht, ein Tor zu finden, das anders war als die anderen, denn keine zwei waren identisch. Ich öffnete wahllos ein paar davon und starrte auf fremdartige Welten. Einmal spürte ich einen starken Luftzug, als ich mich einer unscheinbaren Tür aus weißem, glattem Material näherte. Als ich sie öffnete, wäre ich beinahe von dem plötzlich auftretenden Sturm hineingezogen worden. Die Tür führte in eine Wüste aus rotbraunem Sand. Dort schien es keine Luft zu geben, was den plötzlichen starken Sog erklärte. Rasch drückte ich die Tür
Weitere Kostenlose Bücher