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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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wieder zu.
    Hin und wieder gab es sogar durchsichtige Türen. Eine schien direkt in einen Ozean zu führen, denn auf der anderen Seite schwammen bunte Fische vorbei wie in einem surrealen Aquarium. Ich fragte mich, was passieren würde, wenn ich die Tür öffnete.
    Eric war immer ein phantasievolles Kind gewesen. Oft hatte er stundenlang auf dem Boden seines Kinderzimmers gehockt, umgeben von Actionfiguren, versunken in phantastische Abenteuerwelten. Es war eigentlich kein Wunder, dass ihn Computerspiele fasziniert hatten. Er hatte auch immer gern gemalt, und zumindest ich war von seinem künstlerischen Talent überzeugt. Doch die Maschinen hatten seine Kreativität nicht gefördert, sondern unterdrückt, bis er den ganzen Tag nur noch auf ihre Reize reagiert hatte, anstatt selbst Dinge zu erschaffen.
    Zu welchen im wahrsten Sinn des Wortes phantastischen Leistungen sein Verstand fähig war, offenbarte sich mir nun in voller Breite. Und seine überbordende Phantasie |253| machte mir die Suche nicht gerade leichter. Ein Kind mit einer eingeschränkten Vorstellungskraft hätte sich sicher nicht so eine riesige, komplizierte Welt ausgedacht, in der die Suche nach einem einzelnen Menschen dem Versuch glich, mitten in Manhattan durch bloßes Heranwinken ein Taxi mit einem ganz bestimmten Fahrer zu erwischen.
    Die Sonne neigte sich dem Horizont zu, so dass die Schatten der Tore immer länger wurden und die Ebene schließlich in ein fast magisches orangefarbenes Licht getaucht wurde. Ich überlegte, ob ich während der Nacht rasten sollte, und wenn ja, wo. Aber eigentlich gab es keinen Grund, in meiner Suche innezuhalten. Ich war nicht müde und hatte auch keinen übermäßigen Hunger und Durst. Ich war Eric dankbar, dass er es in dieser Hinsicht mit der Realitätsnähe seines Traums offenbar nicht so genau nahm.
    Als das Orangerot des Himmels einem blassen Gelb und dann einem dunklen Türkis glich, begriff ich, dass die Nacht sogar der deutlich bessere Zeitpunkt war, nach dem Tor des Lichts zu suchen. Müsste es sich nicht durch einen verräterischen Schein bemerkbar machen, der durch die Spalten oder vielleicht durch das Schlüsselloch fiel?
    Doch die Türen und Tore um mich herum waren dunkel. Ich öffnete ein paar von ihnen und stellte fest, dass in den Welten dahinter ebenfalls die Nacht hereingebrochen war. Bei einer Tür blieb ich etwas länger stehen und starrte fasziniert in den wolkenlosen Himmel, der von der riesigen Scheibe eines jupiterähnlichen Planeten beherrscht wurde wie von einem gigantischen Mond. Ich war so beeindruckt, dass ich das schwarze sechsbeinige Wesen, das mit zähnefletschendem Maul auf mich zusprang, erst bemerkte, als es zu spät war. Ich knallte das etwa zweieinhalb |254| Meter hohe Tor zu, doch das Tier war schon hindurchgeschlüpft. Es verharrte einen Moment und sah sich verwirrt um. Mit seinem kurzen schwarzglänzenden Fell hatte es Ähnlichkeit mit einem Panther, doch der Kopf war eher der eines Reptils mit großen trichterförmigen Ohren und einer Art Antennen an der Spitze, die mich an die Fühler von Schmetterlingen erinnerten. Bei aller Fremdartigkeit wiesen es seine daumenlangen Zähne jedoch eindeutig als Raubtier aus.
    Das Wesen richtete grünlich leuchtende, schlitzförmige Augen auf mich und duckte sich, als hätte es Angst vor mir, doch vermutlich machte es sich zum Sprung bereit.
    Ich hatte nichts, womit ich mich hätte verteidigen können, also blieb mir nur zu bluffen. Ich nahm die Säume meines schwarzen Gewands, breitete sie aus, so dass ich größer wirkte, und stürmte brüllend auf das Wesen zu.
    Der Trick funktionierte. Es stieß ein fauchendes Geräusch aus und jagte zwischen den Toren davon.
    In der Nähe befand sich ein großes Portal aus weißem Marmor, so hoch wie ein fünfstöckiges Haus. Es stand auf einem hohen Sockel. Treppenstufen führten empor, jede von ihnen gut einen halben Meter hoch. Ich kletterte die Stufen hinauf, bis ich in etwa fünf Metern Höhe zu einer Plattform gelangte. Von dort hatte ich einen guten Überblick.
    Mein Herz krampfte sich zusammen. Die Ebene der Tore war noch größer, als ich befürchtet hatte. Sie erstreckte sich in alle Richtungen bis zum Horizont. Alle Träume der Menschheit hätten nicht ausgereicht, um die Welten hinter diesen Türen zu formen. Doch das war auch nicht notwendig – Erics Unterbewusstsein musste sich ja erst dann, wenn ich eine Tür öffnete, ausdenken, was dahinter lag.
    |255| Ich wischte mir eine Träne

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