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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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der Verzweiflung aus dem Augenwinkel und starrte angestrengt in die Dunkelheit, doch wohin ich auch blickte, ein leuchtendes Tor konnte ich nicht entdecken.
    Ich wandte mich um und war im Begriff, die überdimensionale Treppe wieder hinunterzuklettern, als mir einfiel, dass ich noch nicht auf der Rückseite des Portals nachgesehen hatte. Also umrundete ich es und blieb wie angewurzelt stehen.
    Da war sie. Eine Tür, nicht besonders groß und nicht allzu weit entfernt. Doch durch die Ritzen zwischen dem Türblatt und dem Rahmen und durch den Spalt am Boden fiel eindeutig Licht – grelles Licht, dessen Farben sich in einem merkwürdigen Rhythmus veränderten: Weiß-Blau-Weiß-Gelb-Rosa-Weiß …

|256| 28.
    Ich war so aufgeregt, dass ich beinahe stolperte, was mir auf der steilen Treppe wahrscheinlich das Genick gebrochen hätte. Endlich erreichte ich den Boden und rannte in Richtung der leuchtenden Tür. Von hier unten konnte ich sie nicht mehr direkt sehen, weil mir andere Tore die Sicht versperrten, und als ich ein paar davon umrundet hatte, war ich mir plötzlich nicht mehr sicher, in welche Richtung ich zu gehen hatte. Kurzzeitig verfiel ich in Panik, erfüllt von der Angst, das Licht könne irgendwie verschwinden. Doch das große Marmorportal ragte gut sichtbar hinter den anderen Toren auf. Wenn ich es im Blick behielt und mich systematisch in Schlangenlinien davon entfernte, würde ich früher oder später zwangsläufig das Tor des Lichts erreichen.
    Und so war es. Es war weiter entfernt, als es von oben ausgesehen hatte. Als ich endlich das pulsierende Leuchten durch die Ritzen schimmern sah, war ich erleichtert. Doch im selben Moment kamen mir Zweifel. Was, wenn es nicht das richtige Tor war? Andererseits, was hatte ich zu verlieren?
    Es war eine schlichte Tür aus graulackiertem Metall, von der an einigen Stellen die Farbe abblätterte. Darunter kam rostiges Eisen zum Vorschein.
    Ich legte mein Ohr an die kalte Oberfläche und lauschte. Mein Herz schlug heftig, als ich vertraute Geräusche hörte: das stetige Rauschen des Verkehrs, hin und wieder ein Hupen oder eine Polizeisirene, das disharmonische und doch beruhigende Konzert der Großstadt. Und plötzlich |257| wusste ich auch, was das rhythmische Leuchten zu bedeuten hatte.
    Ich öffnete die Tür und blickte direkt auf die Fassade eines Hochhauses, an der eine große Neonreklame hing. Eine Medikamentenpackung baute sich nach und nach aus einzelnen Leuchtröhren auf. Die Schrift auf der Packung bestand aus griechischen Lettern.
    Die Tür war offenbar der Hinterausgang eines hohen Betonbaus und führte in einen kleinen Innenhof, der hinaus auf eine belebte Straße ging. Im ersten Moment glaubte ich, in einer modernen Großstadt in Griechenland zu sein, Athen vielleicht. Doch dann sah ich, dass die Hälfte der Autos, die vorbeirauschten, in leuchtendem Gelb lackiert war. Mein Puls beschleunigte sich, und ehe ich recht wusste, was ich tat, war ich durch die Tür geschlüpft und hatte sie hinter mir geschlossen.
    Mach die Tür hinter dir zu, Kind, sonst kommen die Gespenster rein, hatte mein Dad immer zu mir gesagt, als ich ein kleines Mädchen war. Ich hatte natürlich nicht wirklich Angst vor Gespenstern gehabt – schließlich hatten wir Kabelfernsehen –, aber es hatte sich dennoch tief in mich eingebrannt, dass man Türen hinter sich schloss. Dieser Reflex wurde nun zu einem ernsten Problem. Als ich versuchte, die Tür zu öffnen, stellte ich fest, dass sie auf dieser Seite nur einen runden Metallknauf hatte, der sich nicht drehen ließ.
    Ich hatte mir den Rückweg auf die Ebene der Tore verbaut.
    Mit klopfendem Herzen ging ich zum Straßenrand und blickte atemlos auf eine Szenerie, die mir so vertraut war und die doch so gar nicht in Erics Traumwelt zu passen schien. Neonlichter und haushohe Videowände überstrahlten einen länglichen Platz, an dem sich der Broadway |258| und die Seventh Avenue in steilem Winkel kreuzten. Es war einer der berühmtesten Orte der Welt: der Times Square. Ich war also mitten in Manhattan.
    Ein alter Song kam mir in den Sinn: »They say, the neon lights are bright on Broadway. They say, there’s always magic in the air …« Welchen passenderen Ort hätte es für ein »Tor des Lichts« geben können als diesen?
    Doch wo war Eric?
    Das Gebäude, aus dessen Hinterausgang ich gekommen war, beherbergte im Erdgeschoss ein Schnellrestaurant. Ich ging hinein. Am Ende eines kurzen Gangs, der zu den Gästetoiletten führte, fand

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