Glanz
offenen Ladefläche saßen und uns sehr schutzlos vorkamen, klingelte George an der Tür, wartete, bis ein verschlafener dürrer Mann öffnete, und sprach ein paar Worte mit ihm. Der Mann sah zu uns herüber, nickte und gab George einen Schlüssel. Dann ging es weiter, durch Maisfelder und über waldige Hügel. Maria folgte uns die ganze Zeit in Pauls Ford. Geblendet von den Scheinwerfern, konnte ich ihr Gesicht nicht erkennen, aber ich hatte den Eindruck, dass sie mich kritisch musterte.
Nach ein paar Kilometern bog George in einen Waldweg ein. Es rumpelte ziemlich, wenn der Pick-up durch Pfützen und Schlaglöcher fuhr, und wir wurden auf der Ladefläche hin und her geworfen. Ich bettete Erics Kopf in meinem Schoß, so dass er sich nicht verletzte.
Endlich hielten wir an. Die Jagdhütte bestand aus nur einem einzigen Raum, der jedoch sehr behaglich eingerichtet war. Eine Wand wurde von einem großen Kamin eingenommen, vor dem ein Bärenfell ausgebreitet lag. Darüber hingen Hirschgeweihe und die Gehörne von Rehböcken, außerdem ein kitschiges Gemälde, das einen Indianer im Kampf mit einem Schwarzbären zeigte. In einer Ecke gab es eine Kochnische mit einem Gasherd und einen Esstisch mit ein paar Stühlen. Gegenüber in der Ecke stand ein großes Doppelbett. Der Geruch von altem Kaminrauch mischte sich mit dem Harz des Holzes zu |273| einem angenehmen Aroma, das Schutz und Behaglichkeit versprach.
Wir legten Eric auf das Bett. George entzündete eine Gaslampe in der Raummitte. »Den Kamin lasst ihr besser aus, wäre nicht gut, wenn man die Rauchsäule sieht. Ich lasse euch jetzt allein. Ich will wieder zu Hause sein, wenn Sam das nächste Mal auftaucht. Wir werden sagen, dass ihr wieder zurück nach New York gefahren seid. Er wird mir nicht glauben, aber das macht nichts – er weiß, dass ich die Gegend wie meine Westentasche kenne und es hier Hunderte Versteckmöglichkeiten gibt. Wenn diese Ärzte aus New York nicht ungewöhnlich hartnäckig sind, dann werden sie die Suche spätestens in zwei, drei Tagen abblasen.« Er warf einen vielsagenden Blick zu Eric. »Vielleicht ist dann ja auch schon alles vorbei. Ich drücke die Daumen!«
Emily umarmte George. »Vielen Dank! Das werde ich euch nie vergessen!«
Sie sahen sich einen langen Moment an.
»Du könntest wieder hier leben, weißt du«, sagte George schließlich.
Emily schüttelte nur kurz den Kopf. »Ich habe einen anderen Weg gewählt. Aber ich werde sicher wiederkommen.«
»Gut. Tu das. Wir freuen uns jederzeit.«
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, George«, sagte ich.
Er lächelte breit. »Nicht der Rede wert. Wir sind hier auf dem Land, da hilft jeder jedem. Das war schon immer so. Wenn der Junge wieder okay ist, müssen Sie uns mal besuchen kommen, Anna. Bei uns auf der Farm kann er lernen, was richtige Arbeit ist. Dann wird er nicht so ein Weichei wie die Städter, die immer nur mit dem Aufzug fahren und glauben, Jogging sei Ausdauersport.«
|274| Ich nickte ernst. »Ich werde seine nächsten Ferien mit ihm hier verbringen, das verspreche ich.«
Er umarmte mich. »Gut. Viel Glück!« Damit ließ er uns allein. Hinter ihm begann sich der Himmel aufzuhellen. Ich sah auf die Uhr: Kurz nach fünf.
Maria untersuchte Eric, wie sie es regelmäßig tat: Sie fühlte seinen Puls, maß den Blutdruck, horchte seine Lungen mit einem Stethoskop ab, leuchtete mit einer kleinen Stablampe in seine Augen.
Als sie sich zu uns umwandte, war ihr Gesicht ernst. »Ich glaube, er wird schwächer.«
Ich beugte mich über Eric, konnte aber keinen Unterschied feststellen. »Bist du sicher?«
»Sein Blutdruck und seine Herzfrequenz sind kontinuierlich gefallen, seit wir ihn aus dem Krankenhaus geholt haben. Sie nähern sich einer kritischen Grenze.«
»Kann man dagegen nicht was machen? Ein Medikament geben oder so?«
Maria schüttelte langsam den Kopf. Mir schien, dass sie damit weniger ein Nein zum Ausdruck bringen wollte als vielmehr ihr Unverständnis über meine Uneinsichtigkeit. »Ich bin keine Ärztin. Ich kann keine Rezepte ausstellen und habe auch nicht das nötige Fachwissen dafür. Eric muss zu einem Arzt, und zwar so schnell wie möglich! Am besten, in ein Krankenhaus.«
»Das geht nicht!«, rief ich. »Du weißt genau, dass uns Dr. Ignacius dann sofort aufspürt. Er wird einen Weg finden, um ihn …«
Maria sprang auf. »Jetzt hör endlich auf mit dieser dämlichen Verschwörungstheorie! Dr. Ignacius ist nichts anderes als ein
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