Glanz
die Tasche ab, ging in Erics Zimmer und schaltete den Laptop ein.
Ich hatte die übliche Bootroutine eines Computers erwartet – allem technischen Fortschritt zum Trotz schien es mit jedem neuen Modell länger zu dauern, bis die Maschine einsatzbereit war. Doch stattdessen erschien augenblicklich ein Bild. Aus einer Perspektive von schräg oben sah ich den griechischen Helden aus »Reign of Hades«. Er befand sich auf einer Ebene und war umgeben von Toren verschiedener Formen und Größen.
Mein Herz pochte heftig. Ich hatte Eric gefunden!
Der Krieger schritt langsam an den Toren vorbei. Die Kameraperspektive veränderte sich mit ihm, so dass die Figur stets in der Bildmitte blieb und die Tore langsam vom oberen Bildschirmrand nach unten scrollten. Hin und wieder drehte er den Kopf nach links oder rechts, doch er schien die Tore kaum noch zu beachten. Seine gesenkten Schultern und der langsame Gang drückten Hoffnungslosigkeit aus. Offensichtlich wanderte er schon seit Wochen hier herum, auf der Suche nach dem Tor des Lichts, vielleicht auch nach mir.
Wenn ich doch irgendwie mit ihm in Kontakt treten könnte! Ich griff nach der Maus und klickte irgendwo auf den Bildschirm.
Eric blieb stehen. Er sah sich verwirrt um, dann ging er zu der Stelle, auf die ich geklickt hatte.
|279| Ich klickte auf eine Stelle am Boden hinter ihm. Er wandte sich um und ging dorthin.
Ich konnte ihn steuern!
Natürlich konnte ich ihn steuern. Das hier war ein Computerspiel. Doch irgendwie war ich überzeugt, dass der Eric auf dem Laptop-Bildschirm tatsächlich der echte Eric war, der irgendwo auf der Ebene der Tore herumirrte. Auf jeden Fall war es eine Chance.
Aber wie konnte ich sie nutzen? Auch wenn dies nur eine Phantasiewelt war, sah ich keine Möglichkeit, zu ihm in die Spielwelt des Laptops zu gelangen oder ihn daraus zu befreien. Und ihn in der Gegend herumzudirigieren würde mir kaum etwas nützen. Es sei denn …
Zwischen den beiden Mausknöpfen befand sich ein kleines Rad. Ich fand heraus, dass ich, wenn ich daran drehte, den Bildausschnitt verändern konnte. Drehte ich nach vorn, zoomte die Kamera dichter an Eric heran. Ich probierte es aus, bis ich seinen verwirrten Gesichtsausdruck in allen Details erkennen konnte. Drehte ich in die andere Richtung, entfernte sich die Kamera von ihm, stieg immer höher, bis er nur noch ein winziger Punkt in einem Meer aus schräg aufragenden Rechtecken war.
Ich ließ die Kamera in dieser Position und suchte nach einem vertrauten Muster. Schließlich erkannte ich am unteren Bildschirmrand das riesige weiße Tor, von dem aus ich die Tür zum Broadway gesehen hatte. Ich klickte darauf. Auf den ersten Blick geschah nichts, doch als ich wieder an dem Rad drehte und Eric aus der Nähe betrachtete, sah ich, dass er in die Richtung des Marmorportals ging. Sein Schritt war jetzt schneller, zielstrebiger als zuvor. Offensichtlich spürte er meinen Ruf und war von neuer Hoffnung erfüllt.
|280| So weit, so gut. Jetzt musste ich nur noch selbst dorthin gelangen. Ich verließ die Wohnung mit meiner Reisetasche und nahm die U-Bahn zum Times Square. Jetzt, am Morgen, waren die Straßen voller Touristen und Geschäftsleute. Gegenüber der Nacht war der Glanz des Broadway verblasst, aber das kümmerte mich wenig. Ich fand das Schnellrestaurant ohne Schwierigkeiten.
Der Hinterhof war verlassen. Ich stellte die Reisetasche auf den Boden und begann, mich mit Hammer und Schraubenzieher an dem Schloss der Metalltür zu schaffen zu machen. Ich hatte es mir einfach vorgestellt, das Schloss aufzuhebeln, doch es gelang mir kaum, den Schraubenzieher unter das Türblatt zu schieben, geschweige denn, genug Druck aufzubauen, um den Schließmechanismus aufzubrechen. In Filmen öffnete man solche Schlösser doch immer mit Kreditkarten, aber da das Türblatt den Rahmen überdeckte, gab es hier nicht mal einen Schlitz, in den ich eine solche hätte einführen können.
Ich fummelte eine Weile an dem Schloss herum, doch alles, was ich erreichte, war ein abgebrochener Daumennagel. Frustriert schlug ich mit der Faust gegen die Tür.
In diesem Moment öffnete sie sich.
Verblüfft machte ich einen Schritt zurück. Eine junge Frau im blaugrauen Kittel einer Reinigungskraft erschien und fragte mich mit spanischem Akzent, ob sie mir helfen könne.
»Haben Sie einen Schlüssel für diese Tür?«, fragte ich. Sie nickte, dann zeigte sie zum Ausgang des Innenhofs.
»Wenn Sie in das Restaurant wollen, müssen Sie da herum
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