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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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machte. Ich erinnerte mich noch zu gut an Erics Wutanfälle, die er in diesem Alter gehabt hatte. Einmal hatte er seinen Teller vom Küchentisch geworfen, weil ich mich weigerte, ihm eine zweite Portion Götterspeise zu geben.
    Im Zickzack rannte ich auf das Feuerwehrhaus zu.
    In seiner kindlichen Genialität schien Eric zu ahnen, was ich vorhatte. Er krabbelte auf allen vieren, griff das Feuerwehrhaus und hob es in die Luft, so dass ich es nicht mehr erreichen konnte. Dann ließ er es unvermittelt auf den Boden krachen, offenbar in der Absicht, mich damit zu treffen. Ich konnte mich gerade noch zur Seite werfen. Ich rappelte mich auf und flüchtete unter sein Bett.
    Eric krabbelte mir nach und legte seinen riesigen Kopf flach auf den Boden, um mich anzusehen. Er streckte den Arm nach mir aus, erreichte mich jedoch nicht. Er machte schniefende Geräusche der Frustation. »Mama! Will Mamapuppe haben!«
    »Was ist denn los, Eric?«
    Es war die Stimme seiner Mutter. Meine Stimme. Ich fragte mich, was passieren würde, wenn ich jetzt unter dem Bett hervorkam. Würde mein anderes Selbst in hysterisches Geschrei ausbrechen? In Ohnmacht fallen? Oder mich einfangen, in einen Schuhkarton sperren und mit mir zur Columbia University fahren?
    Was hätte ich in einer solchen Situation gemacht? Wahrscheinlich wäre ich in die Küche gegangen, hätte ein |287| Beruhigungsmittel genommen und mir gesagt, dass ich mir das alles nur eingebildet hatte.
    So oder so hatte ich keine Lust, das herauszufinden. Also blieb ich in meinem Versteck und hörte zu, wie Eric meinem anderen Selbst erklärte, was geschehen war: »Mama puppe Aua Aua demacht. Böse Mamapuppe. Mamapuppe Heiabett.«
    »Nein, du musst noch nicht ins Heiabettchen«, hörte ich meine Stimme dröhnen. »Du darfst noch ein bisschen spielen.«
    »Pielen!«, rief Eric. »Pielen mit Mamapuppe! Da! Heiabett!«
    »Ach so, dir ist was unters Bett gefallen.« Ich sah, wie sich mein Riesenebenbild hinkniete. Ich sprintete los und schaffte es gerade noch, mich hinter einem der Bettpfosten zu verstecken.
    »Was ist denn da? Ich seh nichts!«
    »Mamapuppe! Mamapuppe Aua demacht!«
    Aus meinem Versteck konnte ich sehen, wie Erics runder Kopf unter der Bettkante erschien. Rasch zog ich mich weiter hinter den Pfosten zurück, doch er hatte mich gesehen. »Da! Mamapuppe!«, rief er. Der Boden erzitterte, als er um das Bett herumlief und mit seinen dicken Fingern in den Spalt griff.
    Ich setzte alles auf eine Karte und rannte los. Ich hörte einen schrillen Schrei, der mich um meine Trommelfelle fürchten ließ. »Was … was ist das denn?«
    Ich warf einen Blick über meine Schulter und sah in mein eigenes, fassungsloses Gesicht. Es war aschfahl.
    »Mamapuppe!«, rief Eric freudig und rannte hinter mir her.
    Ich erreichte das Feuerwehrhaus gerade noch rechtzeitig. Die Plastiktür klemmte, aber ich schaffte es, sie ein |288| Stück aufzuschieben und mich hindurchzuzwängen. Erleichtert stolperte ich hinaus auf die Ebene der Tore. Meine Reisetasche lag neben der Plastiktür – offenbar war sie herausgefallen, als Eric das Haus hochgehoben hatte.
    Hinter mir wurde die Tür aufgedrückt, und ich sah eines von Erics Augen. »Mamapuppe!«, brüllte er.
    »Tut mir leid, mein Kleiner!«, rief ich.
    Eine Riesenhand schob sich durch die Tür und schoss vor wie eine Schlange, die eine Maus angreift. Ich machte einen Hechtsprung zur Seite und stöhnte auf, als ich auf meinem rechten Rippenbogen landete. Es fühlte sich an, als hätte ich überall Prellungen und Quetschungen von Erics Umklammerung. Ich konnte von Glück sagen, dass keine Rippen gebrochen waren.
    Die Hand tastete im Sand herum, doch nachdem ich mich aufgerappelt hatte, konnte ich ihr mühelos ausweichen. Ich hörte Erics frustrierte Rufe: »Mamapuppe! Will Mamapuppe haben!« Schließlich gab er auf, und die Hand zog sich zurück. Rasch schloss ich die Tür.
    Ich beschloss, auf weitere Experimente mit Türen zu verzichten, und kletterte wieder auf den Sockel. Ich wartete mehrere Stunden, bis die Sonne unterging und die Nacht heraufzog. Immer wieder ließ ich meinen Blick über die Ebene der Tore schweifen, doch von Eric war weit und breit nichts zu sehen. Schließlich legte ich mich auf den kalten Marmor und schlief ein.

|289| 31.
    Jemand rüttelte mich an der Schulter. »Göttliche Mutter! Wach auf!«
    Mit einem Schlag war ich hellwach. »Eric!« Ich umarmte ihn stürmisch.
    Er erwiderte lachend die Umarmung. »Endlich habe ich dich

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