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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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ist schon seltsam, nicht wahr? »Du willst doch raus, oder nicht?«, frage ich.
    »Ja«, erwidert er mit schwankender Stimme.
    »Dann wirst du mir noch ein Weilchen vertrauen müssen, denn ich hab noch keinen Fluchtplan parat.« Ich drücke seine Hand. »Aber ich arbeite dran.«
    Gemeinsam gehen wir auf das Licht zu.

    An diesem Nachmittag wechselt Sam in Jeans und T-Shirt und mäht den Rasen, während ich mich in der Garage aufhalte. Ich trage einen Overall und eine Schutzbrille, weil ich die fertige Gussform aus Brenngips mit einer Legierung auffüllen will, um einen Bleiabguss von dem Schlüssel zu Fiores Kuriositätenkabinett herzustellen. Ein Schlüssel aus Blei würde sich im Schloss nicht drehen lassen, aber als Schablone für das Messingteil, das ich mit der Gravurscheibe bearbeiten will, wird er ausreichen.
    Um jeden, der mich hier beobachten mag, auf eine falsche Fährte zu locken, habe ich einige Requisiten verteilt: ein hölzernes Wandtäfelchen, das ich im Geschäft für Fischereibedarf erstanden habe, und eine Metallplakette, in die ich irgendeine unsinnige Widmung eingravieren kann. Als ich Sam die Sachen zeige, kneift er kurz die Augen zusammen und nickt dann. »Das ist für den Stickzirkel der Frauen, in dem sie Kreuzsticharbeiten nach eigenen Entwürfen anfertigen«, sage ich - eine Erklärung, die ich mir gerade aus dem Hintern gezogen habe. Ein solcher Zirkel existiert natürlich gar nicht, aber zumindest klingt es glaubwürdig. Diese Erklärung wird mich absichern und einen Reflex in jedem Beobachter auslösen, der uns auf abweichendes Verhalten hin überprüft.
    Wir mögen zwar in einem hell erleuchteten Glaskäfig leben, in dem ständig Monitoren auf uns ausgerichtet sind, aber es ist eher unwahrscheinlich, dass alles, was wir tun, von einem lebenden Menschen in Echtzeit überwacht wird. Wir sind viel zahlreicher als die Versuchsleiter, und sie sind vor allem an den Aspekten unserer Sozialisation interessiert, die unser Verhalten in der Öffentlichkeit betreffen. (Zumindest lautet die offizielle Version der Geschichte so.) Wenn man einen intelligenten Organismus angemessen überwachen will, braucht man Beobachter mit einer Theory of Mind , mit einem sozialen Verständnis für Verhalten, Denken und Fühlen anderer, das zumindest so ausgeprägt ist, dass man damit die Versuchsperson erfassen kann. Wir Probanden sind in einer ganz anderen Größenordnung präsent als unsere Versuchsleiter. Und ich habe keine Anzeichen für Superintelligenzen entdecken können, die den Menschen weit überlegen und an dieser Operation beteiligt sind. Deshalb glaube ich auch, dass die Chancen für mich nicht schlecht stehen. Falls wir es tatsächlich mit schwach gottähnlichen Intelligenzen zu tun haben, könnte ich genauso gut sofort das Handtuch werfen. Aber wenn nicht … Man kann zwar alles, was man will, an im Unterbewusstsein wirkende Mechanismen delegieren, aber dabei nimmt man das Risiko auf sich, dass einem bestimmte Dinge entgehen. Sic transit gloria panopticon.
    Die Gottesdienste in der Kirche werden höchstwahrscheinlich auf jede nur vorstellbare Weise überwacht. Aber nach der Kirche werden Fiore und seine Freunde nur allzu sehr damit beschäftigt sein, das Lynchen aus jedem denkbaren Winkel erneut abspulen zu lassen, um herauszufinden, wie die soziale Dynamik eines echten Mobs in der dunklen Epoche funktioniert. Erst viel später werden sie beobachten, was ich in der Garage treibe. Wahrscheinlich werden sie nur einen gelangweilten Blick auf das zurückgespulte Band werfen, um sich zu vergewissern, dass ich nicht mit dem Gatten meiner Nachbarin ficke oder in einer Ecke hocke und hysterisch heule. Da sie daran gewöhnt sind, A-Tore zur Produktion aller benötigten materiellen Dinge zu benutzen, betrachten sie das, was ich tue, vermutlich als irgendein für die dunkle Epoche typisches Hobby und halten mich für eine etwas fade, im Grunde jedoch gut angepasste Ehefrau. Letzte Woche habe ich sogar zwei Punkte für meine Webereien bekommen. Mühsam habe ich von Hand und direkt unter ihrer Nase einen Faradaykäfig als Futter für meine Schultertasche gewebt, und sie haben es so behandelt, als übte ich fleißig ein traditionell weibliches Kunsthandwerk aus! Also gibt es gewisse Lücken in ihrer Überwachung. Und noch größere Lücken bei dem, was sie kapieren können. Genau diese Lücken werden sie zu Fall bringen.
    Meine Konzentration darauf, den Schlüssel herzustellen und dabei darüber nachzudenken, wie

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