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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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verstanden.
    Vielleicht landen wir deshalb auf der Holzbank der hinteren Veranda. Ich bleibe aufrecht sitzen, während er den Kopf in meinen Schoß bettet. Er weint, aber nicht wie ein Baby. Vielmehr schluchzt er zwischen keuchenden Atemzügen hin und wieder heftig auf. Ich streiche ihm übers Haar und versuche dabei, mich weder auf diese noch auf jene Weise hineinziehen zu lassen. Weder will ich ihn mit der zweischneidigen Klinge des Mitgefühls verletzen noch dem Drang nachgeben, ihm zu sagen, er möge sich zusammenreißen und wieder zur Tagesordnung übergehen. Eine besserwisserische Äußerung würde ihm jetzt wehtun. Er wird die Sache schon von sich aus herauslassen, wenn ich ihm einfach zuhöre. Und falls nicht …
    Na ja, neulich Nacht hätte auch ich einen Menschen brauchen können, der mir zuhört, doch das werde ich ihm nicht vorhalten.
    »Während du im Anbau warst, hat Greg angerufen«, sagt er irgendwann. »Hat gefragt, ob ich beim Aufräumen helfen könne. - Ich werde hier nicht weiter den Arsch machen, das hab ich dir ja schon heute Morgen erklärt. Wenn ich schon an Ort und Stelle nichts unternehmen konnte, wollte ich wenigstens im Nachhinein was Nützliches tun. Auch das gehört dazu, hab ich mir gedacht.« Erneut überwältigt ihn der Kummer, sodass er fast eine Minute lang schluchzt.
    Danach schafft er es, ruhig und gelassen, wenn auch sehr nachdenklich mit mir zu reden. Es klingt so, als wolle er sich die ganze Sache selbst erklären und versuchen, einen Sinn darin zu entdecken. »Ich hab ein Taxi zur Kirche genommen. Greg bat mich, eine Schaufel mitzubringen, also hab ich’s getan. Als ich hinkam, waren Martin und Alf schon da, außerdem auch Liz, Phils … frühere Ehefrau. Mal ist im Krankenhaus. Er hat versucht, sie vom Lynchen abzuhalten, und dabei haben sie ihn zusammengeschlagen. Der Mob, meine ich. Es gibt hier auch noch andere anständige Leute, nur haben die meisten so große Angst, dass sie nicht mal dabei helfen wollten, die Leichen zu beerdigen oder die Witwe zu trösten.«
    »Witwe.« Ein neues Wort in unserem kleinen Gefängnis, genau wie »schwanger« und »lynchender Mob«. Und es ist eine ebenso unangenehme Neuheit wie die anderen Wörter. (Wenn wir lange genug hierbleiben, werden wir wohl auch noch das Wort »sterblich« in unseren Wortschatz aufnehmen müssen.)
    »Greg hat aus der Kirchendiele eine Leiter geholt, dann ist Martin hinaufgestiegen, um die Leichen abzuschneiden. Liz war schon sehr still, als wir Phil herunterholten, konnte es aber nicht mehr ertragen, als Martin auch noch Esther herunterließ. Glücklicherweise ist Xara mit einer Flasche Whisky aufgetaucht und hat sich zu ihr gesetzt. Danach haben Greg, Martin, Alf und ich mit dem Graben angefangen. Eigentlich wollten wir es an Ort und Stelle tun, aber Alf meinte, schließlich sei Fiore schuld an allem, folglich sollten wir sie auf dem regulären Friedhof der Kirche bestatten. Und das haben wir getan, während Alf einige Bretter besorgte. Ich glaube, wir haben tief genug gegraben. Keiner von uns hat so was schon mal gemacht.«
    Lange Zeit sagt er kein weiteres Wort. Ich streiche ihm das Haar aus dem Gesicht. »Zwanzig Zyklen«, sinniert er nach einer Weile.
    »Sieben Monate?«
    »Sieben Monate ohne Back-ups«, bestätigt er.
    Eine solche Lebensspanne zu verlieren, ist beängstigend, so viel steht fest. Und noch beängstigender ist die Tatsache, dass Phils und Esthers letzte Back-ups in der Firewall des Assemblers eingeschlossen sind, die das YFH-Gemeinwesen von der Außenwelt abschottet. Ich weiß zwar nicht genau, ob der Assembler mit Curious Yellow infiziert ist, habe jedoch gewisse Vermutungen. (Curious Yellow reproduziert sich von einem A-Tor zum nächsten, indem es die infizierten Netzverbindungen seiner Opfer benutzt, oder nicht? Und die eingeschränkte Funktionsfähigkeit unserer Netzverbindungen innerhalb des YFH-Gemeinwesens finde ich höchst verdächtig und alarmierend.) Vielleicht sind nirgendwo sonst ältere Kopien von Phil oder Esther gespeichert. In diesem Fall - und wenn wir es nicht schaffen, die infizierten Knotenpunkte von Viren zu säubern - könnte es sein, dass wir Esther und Phil für alle Ewigkeit abschreiben müssen.
    Danach schweigt Sam lange. Während das Licht zunächst einen rötlichen Ton annimmt und dann schwächer wird, bleiben wir auf der Bank sitzen. Nach einer Weile lasse ich meine Hände einfach auf Sams Schultern ruhen und blicke auf die Bäume am anderen Ende des Gartens.

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