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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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Meine Hände bewegen sich über die Kontrollsysteme des Tors, ohne dass ich sie bewusst lenke. »So ein Mist!«, kreische ich. Aber ich kann sie nicht daran hindern; offenbar wissen sie, was sie tun, und richten ein Programm ein, das mich in die Außenwelt befördern soll.
    »System nicht zugänglich«, erklärt das Tor mit neutraler unerbittlicher Stimme. »Zugang zum Langstreckennetz gesperrt.«
    Ich weiß zwar nicht, was meine Hände in Gang setzen wollen, aber anscheinend klappt es nicht. Etwas in meinem Langzeitgedächtnis hat sich gewaltsam gelöst, und es ist etwas sehr Hässliches, das da an die Oberfläche drängt. »Du musst flüchten, Reeve«, höre ich meine eigene Stimme sagen. »Dieses Programm wird sich in sechzig Sekunden selbst auslöschen. Von diesem Standort aus ist keine Netzwerkverbindung zu äußeren Sammelleitungen zugänglich. Du musst flüchten. Selbstauslöschung in fünfundfünfzig Sekunden.«
    Obwohl ich nur BH und Slip trage, bricht mir überall am Rücken der kalte Schweiß aus. »Wer bist du?«, flüstere ich.
    »Dieses Programm wird sich in fünfzig Sekunden löschen«, erwidert etwas in meinem Innern.
    »Okay, ich hör dich ja! Ich geh ja schon!« Ich habe Angst, dass ich gemeint bin, wenn die Stimme dieses Programm sagt. Offensichtlich hat sich irgendein Parasit in mich heraufgeladen, ein Parasit, der dem Booter ähnelt, den Curious Yellow in Menschen einschleust. Aber wohin kann ich fliehen? Als ich zur Decke hinaufblicke, klickt es bei mir. Ich muss nach oben , um durch die Mauern dieser Welt zu stoßen. Vielleicht - und es ist ein großes Vielleicht - ist dieses Gemeinwesen mit anderen verschachtelt. Wenn ja, könnte es mir unter Umständen gelingen, ein T-Tor zu erreichen und zu den Sammelleitungen der Unsichtbaren Republik vorzustoßen. Vorausgesetzt ich schaffe es, in eine Ebene oberoder unterhalb dieser Simulation einzudringen. »Ich muss nach oben, richtig?«
    »Dieses Programm wird sich in dreißig Sekunden löschen. Fluchtrichtung wird bestätigt. Sprachgesteuertes Interface wird jetzt deaktiviert.«
    Plötzlich wird es in meinem Kopf sehr still. Zitternd beuge ich mich über das Steuerpult des Assemblers, während ich schnell und flach atme. Es kommt mir so vor, als wäre ein Schatten über meinen Verstand hinweggezogen und hätte nichts als einen prekären inneren Frieden zurückgelassen. Jetzt spüre ich nur noch dumpfes Entsetzen, ein Grauen, das meine ganze Existenz umfasst. Also haben sie - wer sie auch sein mögen - heimlich einen Code in mich eingeschleust, der mich fernsteuert? Aber jetzt bin ich wieder da, bin immer noch ICH. Ich werde nicht plötzlich aufhören zu existieren; keine ständig lächelnde, lebende Marionette ersetzen, die sich meines Körpers bedient, wird mich ersetzen. Es war lediglich ein ESCAPE-Programm, so konfiguriert, dass es nach einer vorher festgesetzten Zeit - oder im Fall, dass ich vor lauter Stress die Handlungsorientierung verliere - eine Rückholaktion einleiten sollte. Als es keine Netzverbindung nach außen aufbauen konnte, nahm es Rücksprache mit mir, seiner mit Bewusstsein begabten Hülle, und teilte mir seine Wünsche mit. Gegen die ich gar nichts habe. Falls ich das tue, was das Programm will, und flüchte, kann ich auch jeden anderen kleinen Trittbrettfahrer aus meinem Schädel entfernen lassen, und alles wird wieder gut! Außerdem will ich ja sowieso fliehen, stimmt’s? Stimmt’s? Immer positiv denken …
    »Scheiße noch mal, immerhin hab ich gerade Fiore umgebracht«, flüstere ich. »Ich muss hier raus! Was soll ich nur tun ?«
    Oben im Aufenthaltsraum hat sich so viel Dampf wie in einer Sauna angesammelt. Hustend und nach Luft schnappend drehe ich den Temperaturregler zurück, greife nach meinen feuchten Klamotten, streife sie mir über und haste zur Tür. Danach - und das ist der schwierigste Teil - streiche ich mir die Haare glatt, greife nach meiner Tasche und gehe mit ruhigem Schritt über den Parkplatz und auf den Bürgersteig an der Straße zu, um ein vorbeifahrendes Taxi anzuhalten.
    »Fahren Sie mich nach Hause«, weise ich den Chauffeur an, wobei meine Zähne vor Angst fast aufeinanderschlagen.
    Nach Hause . Zu dem Haus, das ich so lange mit Sam geteilt habe, dass ich es als vertrauten Ort betrachte, braucht man mit dem Taxi nur knapp fünf Minuten, doch es kommt mir so vor, als müsste es auf halber Strecke zum nächsten Sternsystem liegen. »Warten Sie hier«, bitte ich den Taxifahrer, steige aus und steuere

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