Glashaus
verfügen. Noch später beginnt Curious Yellow damit, die Zivilisten so zu programmieren, dass sie erbittert und ohne Rücksicht auf eigene Verluste zurückschlagen. Ich habe nackte Kinder gesehen, die innerlich zerstört vom Zusammenbruch ihres ganzen bisherigen Lebens auf Panzer zugingen, während sie mit beiden Händen ungeschickt Biffe Klingen umklammerten. Und noch Schlimmeres. Offenbar übt das Konzept von Curious Yellow und die Vorstellung, sich einem höheren Ziel zu unterwerfen, auf gewisse - wenige - Menschen einen bestimmten Reiz aus. Diese Leute manipulieren den Wurm, machen sich seine Kapazitäten zunutze, um in seinem Windschatten Diktaturen von Quislingen zu schaffen. Und die Gräueltaten, die diese Gauleiter im Dienste von Curious Yellow ersinnen, sind noch viel schlimmer als die brutalen, aber schnörkellosen Taktiken, die der Wurm ursprünglich angewendet hat.
Doch das wird mir während des Feldzugs erst recht spät bewusst. Plötzlich drängen die Kenntnisse meines früheren Ichs wieder an die Oberfläche, und ich verbringe nach und nach immer mehr Freizeit damit, über die Implikationen nachzudenken. Meine Studie zur Psychologie von Kollaborateuren wird zu einer der am meisten abgerufenen Dateien im internen Wissensarchiv der Linebarger Cats. Vermutlich ist es deshalb nicht weiter verwunderlich, dass man mich ins Hauptquartier beordert und mich gleichzeitig anweist, die verschiedenen Ausprägungen meiner Identität vor dem Transfer wieder zu einem einzigen Wesen zusammenzufügen und meine Haut in menschliche zurückzuverwandeln.
Anfangs ist mir gar nicht wohl dabei. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, als ganzes Panzerbataillon zu agieren und die meiste Zeit zwischen den Einsätzen in einer eiskalten Umlaufbahn rund um einen günstig gelegenen ausgeglühten Stern oder äußeren Planeten zu verbringen. Die Aussicht, wieder atmen, essen, schlafen und emotional reagieren zu müssen, macht mir zu schaffen, denn für mich sind das nur sinnlose Handicaps. Mir ist sehr wohl klar, dass all das dazu beitragen soll, die Motivationsstruktur des Gegners besser zu erfassen, und man muss diese Dinge den Menschen, die wir befreit haben, auch zugestehen. Aber warum sollte ich mich den Schwächen des Fleisches unterwerfen? Irgendwann wird mir allerdings klar, dass es dabei nicht um mich geht, sondern darum, dass ich mit dem Stab des Hauptquartiers zusammenarbeiten muss. Also vereine ich die diversen Ausprägungen meines Ichs wieder miteinander, lösche meine Identität aus den Kilotonnen von Schwermetall, die noch vor so kurzer Zeit meine Glieder darstellten, und melde mich beim nächsten Knotenpunkt der Einsatzzentrale, um mich heraufladen zu lassen.
Als ich wieder zu mir komme, stelle ich fest, dass ich mich gerade über das Steuerpult des A-Tors beuge. In der linken Hand halte ich ein tropfendes Messer so fest umklammert, dass meine Finger sich schon fast verkrampfen. Die halbe Bodenfläche ist voller Blut, das sich dort zu einer ekelerregenden Pfütze gesammelt hat.
Falls ich es richtig sehe, ist Fiores Doppelgänger keine Zeit geblieben, seine Netzverbindung zu nutzen. Er muss heftige körperliche Qualen gelitten haben, als sein Kopf aus der Tasche auftauchte, und danach hat er wegen des Blutverlustes bestimmt ein Blackout gehabt. Binnen zehn Sekunden hat er das Bewusstsein verloren: Einen so gnädigen Tod hat er eigentlich gar nicht verdient.
Allerdings habe ich jetzt ein Riesenproblem in Gestalt von hundertzehn Kilogramm toten Fleisches, die in mehreren Litern geronnenen Blutes mitten auf dem Teppich aus Gras liegen. Und das Gras stirbt bereits ab. Wenn das nicht belastend ist, dann weiß ich auch nicht … Oh, das Blut klebt ja auch an meinem Rock, an meinem Pullover und an den flachen Schuhen. Das sieht gar nicht gut aus.
Ich muss lachen, und es klingt wie ein hysterisches Kichern, in dem mehr als nur eine Andeutung von Wahnsinn mitschwingt. Das ist wirklich eine üble Situation. Aber es muss doch etwas geben …
Einen Moment lang erinnere ich mich blitzartig an die Zeit bei den Linebarger Cats, als unser A-Tor eine Betriebsstörung hatte - an die glitschigen Pfützen und die Klumpen leblosen Fleisches. Irgendwie gibt mir das mein inneres Gleichgewicht zurück und macht mir klar, was ich zu tun habe. Ich greife nach Fiores Arm und ziehe versuchsweise daran. Sein fahles Fleisch bewegt sich leicht, und als ich mit angespanntem Rücken nachhelfe, löst er sich ruckartig vom Teppich und rutscht
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