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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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einige Zentimeter auf mich zu. Stöhnend zerre ich nochmals an ihm, doch es ist nicht leicht, ihn zu bewegen, deshalb mache ich eine kleine Pause und sehe mich um. Auf einem der Regale mit den Gerätschaften entdecke ich eine Art Kabel. Sofort gehe ich hinüber, hole mir ein paar Meter, winde sie unter seinen Armen hindurch, schlinge sie um seinen Oberkörper und nutze die Verschnürung dazu, ihn zum A-Tor zu schleifen. Schließlich gelingt es mir, ihn aufzurichten und in die Kammer des Tores zu verfrachten. Es ist schwer, ihn da drinnen zu halten - ständig schießt ein Bein wieder heraus -, doch irgendwann stelle ich fest, dass es klappt, wenn ich auch seinen restlichen Körper verschnüre.
    »Okay, zähl bis fünf«, sage ich atemlos und beuge mich über das für militärische Zwecke vorgesehene Terminal. Führst du jetzt schon Selbstgespräche, Reeve?, frage ich mich ironisch. Bist du schon dabei, den Verstand zu verlieren? Zwar lassen meine Finger klebrige rötliche Flecken auf den Steuertasten zurück, aber irgendwann gelingt es mir, das sprachgesteuerte Interface aufzurufen. Offenbar warten im Hintergrund schon zahlreiche andere Aufgaben auf ihre Erledigung, Synthesen, die das Tor laut Plan nacheinander durchführen soll, aber es kann mehrere Dinge gleichzeitig erledigen, sodass ich es unterbrechen kann, als ich sage: »Tor, dieses nicht mehr benötigte Rohmaterial einspeisen und zerlegen, okay?«
    »Okay«, erwidert das Tor. Die Tür quietscht leicht, als sie sich um das mich belastende Beweisstück schließt.
    »Tor, nimm diese Vorlage aus dem Verzeichnis verfügbarer Säuberungssysteme als Muster und produzier das Entsprechende für mich. Benutz dazu das eben eingespeiste Rohmaterial, okay?«
    »Okay, wird gemacht«, erwidert das Tor. »Die Zeit bis zur Fertigstellung beträgt nach Vollendung der gegenwärtigen Zerlegung noch dreihundertfünfzig Sekunden.« Ah, die Annehmlichkeiten modernen Lebens!
    Gleich darauf gehe ich nach oben in den Aufenthaltsraum und mache mir eine Tasse Tee. Während ich ihn ziehen lasse, streife ich meine Oberbekleidung ab und stopfe sie in die Spüle. Die Säuberungssysteme hier sind zwar wirklich primitiv, doch mit dem Reinigungsmittel bekommt man Flecken ganz gut heraus; wahrscheinlich ist es besser als alles, was den Leuten in der echten dunklen Epoche zur Verfügung stand. Nachdem ich ein paar Mal nachgespült habe, sind mein Rock und der Pullover nicht mehr blutig, sondern nur noch klitschnass, also wringe ich sie aus, hänge sie über die Entlüftungsanlage und stelle die Zimmertemperatur höher ein.
    Als ich wieder unten bin, steht das A-Tor sperrangelweit auf, und das Gerät, um das ich gebeten habe, befindet sich tatsächlich darin. Der Assembler hat Fiore in eine Teppichreinigungsmaschine und mehrere Saugtücher verwandelt. Da der Tank mit Wasser befüllt wird, muss ich nochmals nach oben gehen. Vom Geruch der Lösungsmittel wird mir zwar schwindlig, aber wenigstens gelingt es mir binnen einer halben Stunde, die sichtbaren Blutflecke vom Bodenbelag und von den Wänden und Regalen zu entfernen. An die Deckenvertäfelung komme ich nicht so leicht heran, aber wenn man nicht weiß, dass hier unten jemand ermordet wurde, wird man die Flecke da oben vermutlich einem Leck zuschreiben. Also verfrachte ich, laut vor mich hinredend, den Teppichreiniger wieder im Assembler.
    »Das Ganze dient nur zur Tarnung«, erkläre ich und gähne gleich darauf, was offenbar daran liegt, dass der Adrenalinschub allmählich nachlässt. »Zur Tarnung für Fiore, Yourdon und die Dritte im Bunde - die drei Spezialisten auf dem Gebiet psychologischer Kriegsführung, die derzeit an Lenkung und Kontrolle eines emergenten Gruppenverhaltens arbeiten.« Offenbar haben meine Blackouts weitere fragmentarische Erinnerungen freigesetzt, Dossiers über … »Kriegsverbrecher. Sie haben den Sicherheitsapparat für die Dritte Glorreiche Zukunftsdomäne des Volkes geleitet. Als der Kampf gegen den Wurm aufgenommen wurde, sind sie geflüchtet. Die letzten Gigasekunden haben sie damit verbracht, eine Konterstrategie gegen die Wurmbekämpfung auszuarbeiten, und danach haben sie nach einer Möglichkeit gesucht, Curious Yellow resistenter zu machen.«
    Ich kneife die Augen zusammen. Bin ich das, die da spricht? Oder eine andere Ausprägung von mir, die meine Sprachzentren dazu nutzt, mit dem Rest von … von mir, wer immer ich auch sein mag, zu kommunizieren?
    »Priorität: Exfiltration. Priorität: Exfiltration.«

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