Glashaus
Leben einer Machinima an, einem computergenerierten Animationsfilm. Zwar ist das eine seltsame Lebensweise, doch man gewöhnt sich schnell daran und fühlt sich wohl damit - wenn man vorher ein gespenstisches Dasein als Panzer erlebt hat, ständig hellwach, ständig auf der Hut.
Also hänge ich in den Galerien und Salons von Lichtenstein herum, tausche schlagfertige Bemerkungen und Angebereien mit den anderen Bewohnern aus und besuche in der reichlich vorhandenen Freizeit häufig die Badehäuser und Floatarien. Wenn ich zweimal mit jemandem schlafe, achte ich darauf, niemals denselben Körper wie zuvor zu benutzen. Allerdings muss ich feststellen, dass auch diese bewusst herbeigeführte Anonymität mich nicht vor den Tränen meiner Geliebten bewahrt. Offenbar hat die Hälfte der Bevölkerung jemanden verloren und streift ziellos umher, stets auf der Suche.
Während der ersten vier oder fünf Megs wirkt mein Leben nach außen hin richtungslos - ich bin jemand, der nichts anderes tut, als seine Ersparnisse zu verprassen -, doch insgeheim arbeite ich an einer Sache, die sich vielleicht irgendwann als persönlicher Kriegsbericht entpuppen wird. Es ist ein altmodischer, chronologisch erzählter Text, der auf provokante Weise einer subjektiven Sichtweise huldigt und gar nicht den Anspruch auf Objektivität erhebt. Die Ausmusterungsstelle hat mir eine einigermaßen sichere Cover-Identität mitgegeben, als sie mich zu einem reichlich mit Geldmitteln versorgten Playboy machte. Meiner Legende nach stamme ich aus einem Gemeinwesen mit Erstgeburtsrecht, in dem der Erstgeborene entsprechend verhätschelt wird. Man hat mich fortgeschickt, damit ich meine Jugend in einem weniger eingeschränkten (und weniger mit Politik belasteten) Lebensraum genießen kann. Es fällt mir nicht schwer, diese Rolle nach außen hin zu erfüllen. Doch tief drinnen nervt mich die Bedeutungs- und Sinnlosigkeit eines solchen Lebens. Ich würde gern irgendetwas bewirken, aber das geht jetzt nicht. Denn während das Projekt, an dem ich unter Sannis Schirmherrschaft die letzten beiden Jahre gearbeitet habe, in die Praxis umgesetzt wird, muss es zwangsläufig geheim gehalten werden. Falls ich der Geschichte einen Stempel aufdrücke, wird es durch meine Taten geschehen, ohne dass man meinen Namen je damit verbinden wird. Aus all diesen Gründen versinke ich im Nebel der Trübseligkeit, während ich nach außen hin ein Leben führe, das immer ausschweifender wird.
Bis ich eines Morgens mit Pauken und Trompeten aus meinen Fieberfantasien geweckt werde, weil ich Besuch habe.
Genau in dem Moment, als Dr. Hanta eine winzige eiskalte Messingscheibe auf die nackte Haut zwischen meinen Brüsten drückt, wird mir klar, wer und wo ich bin. Und dass ich schrecklich krank bin. »Au!«
»Atmen Sie langsam ein und aus«, sagt sie nicht unfreundlich. Gleich darauf kneift sie wie eine schläfrige Eule die Augen hinter den dicken Brillengläsern zusammen. »Ah, Sie sind also ins Reich des Bewusstseins zurückgekehrt?«
Als Antwort liefere ich ihr einen heftigen Hustenanfall, bei dem sich meine Muskeln so verkrampfen, dass mir die Rippen wehtun. Hanta fährt leicht zurück und nimmt das Stethoskop weg. »Verstehe«, sagt sie. »Ich werde einfach einen Augenblick warten. Ein Glas Wasser?«
Als der Husten sich legt, merke ich, dass sie den Kopfteil meines Bettes hochgestellt hat. »Ja, bitte.« Ich bin noch fiebrig und schwach, friere aber nicht mehr. Ich schaffe es, nach dem Glas zu greifen, das sie mir hinhält, und verschütte auch nichts, obwohl meine Hand bedenklich zittert. »Was ist mit mir los?«
»Um das herauszufinden, bin ich hier.« Hanta ist eine zierliche Frau, kleiner als ich. Ihre Haut ist etwas dunkler als meine, hat aber nicht das auberginefarbene Braun von Fiore. Das kurze Haar weist mit seinen silbernen Strähnchen die ersten Anzeichen des bevorstehenden Alters auf, das Gesicht ist von Lachfalten durchzogen. Sie trägt einen seltsamen, vorne zugeknöpften weißen Kittel und die geheimnisvollen Symbole ihres Berufsstands: den Merkurstab und das Stethoskop, dessen Scheibe sie jetzt auf meiner Brust hin und her schiebt. Im Gegensatz zu ihren beiden klerikalen Kollegen wirkt sie freundlich, offen und vertrauenswürdig, aber bekanntlich kann ein sympathisches Äußeres auch täuschen. Ein innerer Instinkt rät mir, in ihrer Gegenwart stets auf der Hut zu sein. »Wie lange«, fragt sie, »sind Sie schon febril?«
»Febril?«
»Das bedeutet, dass Ihnen
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