Glashaus
Ende der Station, füllt ihn und bringt ihn gleich wieder zurück. »Sie müssen viel trinken.«
»Tja …« Da mir so kalt ist, versuche ich mich unter der Decke zu einer Kugel zusammenzurollen. Vage ist mir bewusst, dass ich eigentlich jede Menge Fragen stellen müsste. Und nicht nur das: Eigentlich sollte ich mich zum Aufstehen zwingen und so schnell davonlaufen, als wäre der Teufel hinter mir her. Doch im Augenblick betrachte ich es schon als Heldentat, wenn ich es schaffe, mir ein Glas Wasser einzuschenken.
Ich lege mich wieder hin, starre zur Zimmerdecke hinauf und kann vor Zorn und Scham keinen klaren Gedanken fassen. Habe ich mir nur eingebildet, Fiore in der Bücherei umgebracht zu haben? Eigentlich glaube ich das nicht, denn die Erinnerungen daran sind überaus deutlich. Allerdings gilt das auch für all meine anderen Erinnerungen - die Erinnerungen an die Massaker und die endlosen Kriegsjahre. Und dennoch sind sie nicht alle echt, oder doch? Nehmen wir zum Beispiel die Bootstrap -Erinnerung, den in mich eingeschleusten blinden Passagier, der mit einer fremden Stimme in meinem Kehlkopf kommunizierte: Falls das keine vorgetäuschte Erinnerung an etwas war, das nie geschehen ist, war es jedenfalls auch nicht mein Ich, das da sprach. Es war ein perfekt in mein Implantat eingepasster Wurm. An diesem Punkt wird es schwierig, denn ich kann mir selbst nicht mehr trauen. Erst recht nicht, solange ich weiter unter Schüben von Amnesie leide.
»Oder doch?«, frage ich und schlage die Augen wieder auf.
Sam zuckt zusammen. Wo vorher Fiore gestanden hat, steht jetzt Sam und beugt sich über mich. Und daran merke ich sofort, dass ich längere Zeit völlig weggetreten sein muss. Mir ist zwar immer noch kalt, aber anscheinend ist das Fieber geschwunden. Die Laken sind durchgeschwitzt. Und das gedämpfte Licht, das durch die Fenster dringt, deutet schon auf den Abend hin.
»Reeve?«, fragt Sam besorgt.
»Sam.« Als ich die Hand nach ihm ausstrecke, nimmt er sie in seine. »Ich bin krank.«
»Als ich es erfuhr, bin ich sofort gekommen. Fiore hat im Büro angerufen.« Er klingt leicht mitgenommen, und sein Blick huscht hin und her. »Was ist passiert?«
Ich fröstele wieder, denn die feuchten Laken machen mir zu schaffen. »Später.« Soll heißen: Denn hier haben die Wände Ohren. »Ich brauch Wasser.« Mein Mund ist wirklich trocken. »Hab immer noch Aussetzer.«
»Die Schwester hat irgendwas von einem Facharzt gesagt«, bemerkt Sam. »Dr. Hanta. Offenbar wird er später nach dir sehen. Wird’s dir bald besser gehen? Wieso bist du krank?«
Ich drücke Sams Hand, so kräftig ich kann. »Ich weiß es nicht.« Ich nehme einen Schluck aus dem Wasserglas, das er mir reicht. »Keine … Ahnung. Bin mir nicht sicher. Wie lange … hab ich … geschlafen?«
»Du hast mich nicht erkannt, als ich hereinkam.« Sam hält meine Hand so fest umklammert, als fürchte er, einer von uns könne ertrinken. »Du hast mich nicht erkannt.«
»Die Aussetzer werden immer schlimmer.« Ich lecke mir über die Lippen. »Heute schon drei.« Nein, vier. »Weiß nicht genau, warum. Ständig erinnere ich mich an bestimmte Dinge, aber ich bin mir nicht sicher, was davon echt ist. Dachte, ich hätte …« Fiore umgebracht, hätte ich fast gesagt, beiße mir aber noch rechtzeitig auf die Zunge. Kann ja sein, dass ich es wirklich getan habe, auch wenn Fiore nichts davon weiß. Sein Unwissen heißt nicht unbedingt, dass es nie geschehen ist, sondern kann auch andere Gründe haben. »Dachte, ich wäre entkommen. Bin aber hier drinnen aufgewacht.« Ich schließe die Augen. »Fiore sagt, ich sei krank.«
»Was soll ich nur tun?«, fragt Sam traurig. »Wie kann ich dich wieder gesund machen? Hier gibt’s kein A-Tor …«
»Nur die Technologie der dunklen Epoche.« Ich klammere mich so fest an Sams Hand, dass meine schon wehtut und ich mich zwingen muss, sie zu lockern. »Die haben die Menschen nicht zerlegt und wieder zusammengesetzt, sondern sich auf Medizin, Arzneimittel und Operationen gestützt. Haben versucht, verletztes Gewebe direkt am Körper zu reparieren.«
»Das ist doch Wahnsinn!«
Ich kichere schwach. »Wem sagst du das! Genau das macht der Facharzt doch, der ist ein Doktor .« Doktor ist einer dieser bizarren, veralteten Begriffe, die hier drinnen eine ganz andere Bedeutung haben als draußen. In der realen Welt jenseits dieses Gefängnisses ist ein Doktor kein Mechaniker, der Wetware repariert, sondern ein Gelehrter, jemand, der
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