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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit die Robophagen, die Bakterienfresser, austricksen. Deshalb werde ich Sie über Nacht noch hierbehalten - nur zur Beobachtung. Morgen wird es Ihnen hoffentlich wieder so gut gehen, dass wir Sie nach Hause entlassen können. Damit Sie sich richtig erholen können, werde ich Sie für eine Woche krankschreiben. Und denken Sie in der Zwischenzeit bitte über das nach, was ich über Ihr Gedächtnisproblem gesagt habe; morgen früh sehe ich nach, wie die Therapie bei Ihnen angeschlagen hat, dann können wir darüber reden.«
    Die Schlangenköpfe lösen sich von mir, um sich wieder um den Stab zu wickeln, und Hanta steht auf. »Schlafen Sie gut!«

    Selbstverständlich schlafe ich keineswegs gut.
    Anfangs verbringe ich unbestimmte Zeit nur damit, vor Schüttelfrost zu zittern. Hin und wieder vergesse ich dabei sogar zu atmen, bis irgendein primitiver Reflex mich dazu bringt, krächzend und keuchend tief Luft zu holen. Da an Schlaf nicht zu denken ist, wenn man Angst davor hat, plötzlich mit dem Atmen aufzuhören, unterhalte ich mich damit, die Ereignisse des Tages Revue passieren zu lassen - ein mehr als abartiges Vergnügen. Ich stelle mir vor, wie aus Arterien Blut schießt und sich gespenstisch auf der Wand abzeichnet: durch Schuldgefühle ausgelöste Projektionen, weil ich Fiore umgebracht habe … Fiore? Der weiß doch nicht einmal, dass ich ihn getötet habe! Habe ich mir das alles nur eingebildet? Ganz bestimmt gilt das nicht für die wahnsinnige Klettertour den Schacht hinauf, denn meine Arme brennen, da die Muskeln überdehnt sind. Der Priester und die Ärztin wussten beide darüber Bescheid. Vorausgesetzt, ich habe mir deren Besuche nicht auch nur eingebildet. Im Augenblick kämpfe ich gegen eine durch Mechas ausgelöste Infektion und gleichzeitig gegen eine obskure Nervenkrise an. Wäre es da nicht vernünftig, davon auszugehen, dass bei mir sämtliche Schrauben locker sind?
    Auf der Station herrscht nur noch gedämpftes Licht, und das kleine Stück Himmel, das ich durch die Fenster sehen kann, nimmt eine tief purpurrote Färbung an. Es ist mit winzigen Leuchtpunkten übersät, die so seltsam funkeln, als brächen sich die Strahlen in einem tiefen Wasserbecken. Vielleicht ist den Versuchsleitern nicht klar, dass ich über Curious Yellow und den Assembler im Keller der Bücherei Bescheid weiß, sage ich mir. Sie nehmen einfach an, ich hätte einen Nervenzusammenbruch erlitten, und deshalb eine kleine Klettertour unternommen. Dissoziative Fugue - so haben unsere Vorfahren diesen Zustand genannt, stimmt’s? Ich habe mich durch Nanoteilchen einer Mülldeponie mit Pest infiziert, und Fiore hat Hanta rufen lassen, damit sie mich wieder zusammenflickt. Allerdings wird er das in der Kirche nicht erwähnen, denn das würde dieses saubere Experiment untergraben. Vielleicht haben sie recht, und ich habe mir nur eingebildet, Fiore getötet zu haben. Bei mir drängen nicht nur Bruchstücke unvollständig gelöschter Erinnerungen an die Oberfläche, sondern ich reime mir daraus auch gewisse Dinge zusammen, verbinde aufgrund eines schlampig durchgeführten Eingriffs in mein Langzeitgedächtnis Fragmente so miteinander, dass sie falsche Erinnerungen ergeben.
    Könnten die Erinnerungen an meine Zeit bei den Cats einfach welche an ein Spiel sein, für das ich mich früher begeistert habe? Eines mit mehreren Mitspielern, denen bestimmte Identitäten zugewiesen wurden, und dessen Handlungsfaden sich über mehrere ineinander verschachtelte Welten erstreckte? Zwar erinnere ich mich nicht daran, ein begeisterter Spieler gewesen zu sein, aber falls ich mich tatsächlich von einer Spielsucht befreien wollte, kann es dann nicht sein, dass ich sie durch einen leichten Eingriff in mein Gedächtnis loswerden wollte?
    Ich kann niemanden danach fragen, wie mir klar wird. Falls ich Sam frage und er nie von den Linebarger Cats gehört hat, heißt das noch lange nicht, dass es sie nicht gegeben hat. Jeder hier hat eine Löschung von Erinnerungen hinter sich!
    Wäre meine Kehle nicht so trocken, würde ich jetzt kichern. Ich bin Reeve! Schaut mal her: Ich kann ein ganzes Bündel von Erinnerungen erfinden, nur um mir damit selbst Angst einzujagen! War der Kerl, der mich durch die Gänge der Unsichtbaren Republik verfolgte, überhaupt real? Und was ist mit dem verrückten Miststück, der Schwertkämpferin, die mich zum Duell herausgefordert hat? Ich bin vor Gegnern davongerannt, die ich bis auf einen kurzen Blick

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