Glashaus
zu meiner Zuflucht geworden. »Ich habe … Nun ja. Ich bringe die Dinge heute nicht so ganz auf die Reihe. Was ist passiert? Wann hast du gehört …?«
»Ich bin so schnell wie möglich gekommen«, murmelt er mir ins Ohr. »Sie haben mich gestern Abend angerufen, aber gesagt, ich könne dich nicht besuchen, es sei zu spät.« Er spannt sich an.
»Und weiter?« Ich habe das Gefühl, es müsse noch mehr dahinterstecken.
»Du hattest Anfälle.« Er ist immer noch angespannt. »Dr. Hanta sagte, es sei eine akute Krise und du brauchtest ein Fixiermittel, aber sie könne es nicht ohne deine Einwilligung veranlassen. Ich hab ihr gesagt, sie solle es trotzdem verabreichen, sie hat es jedoch abgelehnt.«
»Ein Fixiermittel? Wozu?«
»Für dein Gedächtnis.« Jetzt ist er noch angespannter. Mir wird eiskalt, und ich lasse ihn los.
»Was bewirkt dieses Fixiermittel?«
Diese Frage beantwortet Dr. Hanta, die hinter mir steht. Ich drehe mich zu ihr um. »Das Erinnerungsvermögen ist auf vielfältige Weise kodiert, sowohl als Gewichtungsdifferential in synaptischen Verbindungen als auch als Verbindung zwischen verschiedenen Nerven. Die letzte Löschung und Neubearbeitung Ihres Gedächtnisses wurde fehlerhaft ausgeführt, sodass nach und nach wieder Erinnerungen durchbrachen. Das wiederum hat Alarm in Ihrem künstlich verstärkten Immunsystem ausgelöst. Dass Sie sich später auch noch einer Mecha-Seuche ausgesetzt haben, hat die Sache wesentlich verschlimmert. Immer wenn sich neue Assoziationsstränge miteinander verbinden wollten, kamen Ihre endogenen Robophagen zu dem Schluss, dass es sich um ein mechanozytisches Signal handeln müsse, und töteten die Nervenzellen ab. Sie waren schon sehr nah dran, die Fähigkeit, neue assoziative Verbindungen herzustellen und im Langzeitgedächtnis abzuspeichern, gänzlich einzubüßen - und das ist ein Gehirnschaden, der ständig weiter voranschreitet. Die Fixierung wird normalerweise nur als letzter Schritt in einer Neubearbeitung des Gedächtnisses benutzt. Ich habe sie angewendet, um die alten, durchbrechenden Erinnerungen zu löschen und ihren Zustand auf diese Weise wieder zu normalisieren. Es tut mir leid, aber Sie haben jetzt keinen Zugang mehr dazu - zwar behalten Sie die Erinnerungen, die Sie bereits integriert haben, aber die anderen sind endgültig weg.«
Sam hat den Griff um meine Hand gelockert. Während ich die Ärztin anstarre, lehne ich mich gegen ihn. »Hab ich Ihnen überhaupt die Erlaubnis erteilt, an meinem Gehirn herumzupfuschen?«, frage ich.
Hanta sieht mich nur an.
»Ja oder nein?« Ich bin entsetzt. Wenn sie das gegen meinen Willen durchgeführt hat, ist das …
»Ja«, sagt Sam.
»Was?«
»Sie … Du warst ziemlich weggetreten.« Er beugt sich wieder vor. »Sie hat dir und mir die Situation erklärt. Daraufhin habe ich sie gebeten, den Eingriff vorzunehmen, aber sie sagte, das könne sie nicht. Und dann bist du in eine Art Delirium gefallen und hast angefangen, vor dich hinzumurmeln. Als sie dich gefragt hat, hast du zugestimmt.«
»Aber ich erinnere mich gar nicht daran …« Ich gerate ins Stocken, denn irgendwie glaube ich, mich doch daran zu erinnern. Aber ich kann mir nicht sicher sein, stimmt’s? »Oh.«
Ich starre Hanta an und kann in ihren Augen lesen, was sie empfindet. Nachdem ich sie lange angesehen habe, überwinde ich mich zu einem Nicken, das eigentlich nicht mehr als ein flüchtiger Ruck mit dem Kopf ist, aber es reicht, um die Blickverbindung zwischen uns kurz zu unterbrechen, und ich glaube, wir atmen alle drei gleichzeitig aus. Scheiße, jetzt werde ich niemals herausfinden können, woher ich komme, oder? Allerdings ist das nicht so schlimm wie das, was sonst passiert wäre. An die Anfälle kann ich mich zwar nicht mehr genau erinnern, doch ich weiß noch, was zwischen den Anfällen passiert ist und was sie zur Folge hatten - und das ergibt eine in sich logische Geschichte. Das wirft ein ganz neues Licht auf mein Leben, nehme ich an. »Ich fühle mich viel besser«, sage ich vorsichtig.
Sam lacht, und es schwingt darin eine Nervosität mit, die an Hysterie grenzt. »Du fühlst dich also wirklich besser?« Wieder umarmt er mich, und ich erwidere die Umarmung. Hanta lächelt - ich glaube aus Erleichterung darüber, dass eine schwierige Situation jetzt gelöst ist. Der argwöhnische, paranoide Teil von mir speichert es, um später darauf zurückzukommen. Aber selbst der Teil meines Ichs, der sich für einen Geheimdienstagenten hält,
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