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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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ist bereit einzuräumen, dass Hanta vielleicht wirklich das ist, was sie zu sein scheint: eine praktizierende Ärztin mit rigiden ethischen Grundsätzen, der es ausschließlich um das Wohl ihrer Patienten geht. Was sehr viel besser als das ist, was Fiore oder der Bischof darstellen. Zumindest eine von dreien - das ist keine schlechte Quote.
    »Und wann kann ich nach Hause?«, frage ich hoffnungsfroh.

    Wie sich herausstellt, muss ich nicht nur den Rest des Tages, sondern auch noch die folgende Nacht im Krankenhaus verbringen. Das Leben im Krankenhaus ist öde; die einzige Abwechslung besteht darin, dass die weiß gekleideten Gespenster Essen und andere Dinge wie Instrumente und die Arzneimittel der dunklen Epoche herumkarren.
    Die Folgen des Fiebers machen mir immer noch zu schaffen und ich fühle mich schwach, jedoch gesund genug, um aufzustehen und allein auf die Toilette zu gehen. Auf dem Rückweg fällt mir auf, dass die Vorhänge des anderen belegten Bettes auf der Station zurückgezogen sind. Ich sehe mich um, kann aber keine Schwester entdecken, und gehe, mich innerlich wappnend, auf das Bett zu.
    Es ist Cass, und sie sieht wirklich schlimm aus. Ihre Beine stecken vom Oberschenkel bis zu den Zehen in Röhren aus knallblauem Polymer und sind durch Kabel so angehoben, dass das Bettzeug, mit dem sie zugedeckt ist, in einer Art Tal liegt. Die Blutergüsse in ihrem Gesicht sind zu einem hässlichen Grüngelb verblasst, bis auf diejenigen rund um ihre Augen, die gleichzeitig aufgedunsen und eingefallen wirken. Die Augenlider sind zugeschwollen und hängen schlaff nach unten. Sie ist immer noch ausgezehrt; durch einen Schlauch tropft langsam Flüssigkeit aus einem durchsichtigen Beutel in die Kanüle an ihrem Handgelenk.
    »Cass?«, spreche ich sie leise an.
    Ihre Augen öffnen sich und drehen sich zu mir. »Gaah«, sagt sie.
    »Was?«
    Sie zuckt leicht zusammen. Hinter mir höre ich Schritte. »Geht’s dir einigermaßen gut?«
    Die Zombie-Schwester nähert sich dem Bett. »Bitte treten Sie vom Bett der Patientin zurück. Bitte treten Sie vom Bett der Patientin zurück.«
    »Wie geht es ihr?«, frage ich in energischem Ton. »Was haben Sie mit ihr angestellt?«
    »Bitte treten Sie vom Bett der Patientin zurück«, erwidert die Schwester, doch gleich danach setzt ein anderer Reflex ein: »Richten Sie alle Fragen an die ärztliche Aufsicht. Danke für Ihr Verständnis. Gehen Sie wieder ins Bett.«
    »Cass …« Ich versuche es ein letztes Mal. Wie eine Schneeflocke wirbelt der Gedanke an den groben Eingriff in meine Erinnerungen durch meinen Kopf und legt sich eiskalt über alles andere. Ich fühle mich grässlich. »Bist du da, Cass?«
    »Gehen Sie wieder ins Bett«, sagt die Schwester in leicht drohendem Ton.
    »Ich geh ja schon.« Mit schlurfenden Schritten verlasse ich die arme, verletzte Cass. Cass, die ich für Kay gehalten habe und nach der ich mich verzehrt habe, während Kay die ganze Zeit über im Zimmer neben mir schlief. Und Cass in einem Albtraum lebte.
    Was mir Rätsel aufgibt, ist die Ethik, die dieses Gemeinwesen bestimmt oder angeblich bestimmt. Hanta ist kein böser Mensch, aber sie arbeitet mit Fiore und Yourdon zusammen. Und wie muss ein Mensch beschaffen sein, der so etwas tut? Bestürzt schüttle ich den Kopf, weil ich mir keinen Reim darauf machen kann. Ist Hanta ein Mensch, der einen illegalen Eingriff in die Erinnerungen vornehmen würde? Ein Mensch, der dem Opfer anschließend durch Implantation einer falschen Erinnerung suggerieren würde, dass es die Erlaubnis dazu - in vollem Bewusstsein der Konsequenzen - selbst erteilt hat? Erneut schüttle ich den Kopf. Eigentlich glaube ich nicht, dass Hanta so etwas tun würde, aber ausschließen kann ich es nicht. Und wenn der Patient dem behandelnden Arzt im Nachhinein sein Plazet gibt, ist es dann wirklich als illegaler Eingriff zu betrachten?

    Als Hanta an diesem freundlichen, sonnigen Donnerstagmorgen zu mir kommt und sich mit einem Klemmbrett an mein Bett setzt, lächelt sie munter und zufrieden. »Also, Sie haben sich wirklich hervorragend geschlagen, Reeve, glänzend erholt. Ich glaube, Ihnen geht’s wieder so gut, dass wir Sie nach Hause entlassen können.« Mit dem Kuli notiert sie etwas auf das Klemmbrett. »Aber da Sie erst auf dem Wege der Besserung sind, rate ich Ihnen, es in den nächsten Tagen noch sehr langsam anzugehen. Jedenfalls sollten Sie frühestens am Donnerstag kommender Woche wieder arbeiten, noch besser erst am Montag

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