Glashaus
… Also müssen sie ernsthaft vorhaben, dieses experimentelle Gebilde in ein funktionierendes Gemeinwesen zu verwandeln. Und das bedeutet vermutlich, dass sie annehmen, die in unsere Implantate geladenen Bewertungsschemata hätten sich einigermaßen bewährt. »Unsere Besucher fragen nach Büchern, und wir helfen ihnen dabei, diese Bücher zu finden.« Ich zucke die Achseln. »Das ist noch längst nicht alles, aber, kurz gesagt, das Wichtigste.«
»Aha. Und ich fahre den ganzen Tag herum. Werde über Funk benachrichtigt, hole die Fahrgäste ab und bringe sie ans gewünschte Ziel.«
»Klingt langweilig. Ist es das auch?«
Er lacht. »Und für mich klingt’s langweilig, Bücher herauszusuchen, also sind wir wohl quitt! Gleich kommen wir zum Marktplatz und zum Rathaus. Wohin jetzt?«
In der Innenstadt regnet es nicht. »Lassen Sie mich hier raus, dann laufe ich den restlichen Weg«, biete ich ihm an, doch davon will er nichts hören.
»Nee, nee, ich muss doch lernen, wo alles liegt, nicht? Also, wo ist es?«
Ich gebe nach. »An der nächsten Straße links abbiegen. Nach zwei Straßenzügen die erste Straße rechts nehmen und halten. Die Bücherei liegt direkt gegenüber.«
Völlig mitgenommen komme ich an meinem Arbeitsplatz an und weiß nicht einmal genau, warum. Ich habe Yourdon ja schon von Wachtmeistern und Richtern reden hören. Werden wir hier letztendlich überhaupt keine Zombies mehr haben und alles selbst erledigen? Das würde zur akkuraten Simulation einer Gesellschaft in der dunklen Epoche beitragen, wie mir klar wird. Aber es bedeutet auch, dass dieses Experiment weit mehr umfasst, als ich mir vorgestellt habe.
Ich komme ein bisschen zu spät - die Bücherei hat schon geöffnet -, aber es sind noch keine Besucher da. Deshalb gehe ich direkt zum Empfang durch und lächle Janis zu, die ihre Nase in ein Buch gesteckt hat. »Hi!«
Sie fährt hoch und sieht mich verblüfft an. »Reeve. Ich hab heute gar nicht mit dir gerechnet.«
»Na ja, mit der Zeit hat’s mich gelangweilt, zu Hause herumzuhocken. Dr. Hanta hat gesagt, ich könne heute schon zur Arbeit gehen, falls mir danach ist. Und das ist immer noch besser, als auf den Regen zu starren, oder?«
Janis nickt, wirkt aber nicht sonderlich erfreut. Sie klappt ihr Buch zu und legt es achtsam auf den Tisch. »Ja, da hast du wohl recht.« Sie steht auf. »Möchtest du Kaffee?«
»Ja, bitte.« Ich folge ihr in den Aufenthaltsraum. Es ist wirklich ein gutes Gefühl, wieder hier zu sein, wo ich hingehöre. Janis ist in gedrückter Stimmung, aber ich kann ihr dabei helfen, mit sich ins Reine zu kommen. Schließlich sind wir beide für eine ganze Bibliothek verantwortlich, und was könnte schöner sein? Ike kann sein stinkendes, gefährliches Taxi gern behalten.
»Also gut.« Janis schaltet den Wasserkocher ein und mustert mich kritisch von oben bis unten. »Kann sein, dass ich für ein paar Stunden wegmuss. Kommst du hier alleine klar?«
»Kein Problem!« Ich ziehe meinen Rock glatt. Vielleicht hat Janis dort einen Fussel bemerkt?
Sie zuckt zusammen und reibt sich die Stirn. »Bitte leg so früh am Morgen noch keine derartige Munterkeit an den Tag. Was ist denn in dich gefahren?«
»Ich hab mich gelangweilt!« Mit Mühe unterdrücke ich ein Jammern. »Es war langweilig zu Hause und hat die ganze Woche geregnet.« Ich ziehe mir den anderen Stuhl heran und nehme Platz. »Schließlich kann man ja nicht jeden Tag einkaufen gehen, und mit dem Saubermachen und Aufräumen ist man bei so einem Haus auch schnell durch. Und das Fernsehprogramm hat mich angeödet. Ich hätte vorbeikommen sollen, um mir ein paar Bücher auszuleihen, aber ich dachte …« Mein Redefluss versiegt. Was habe ich denn eigentlich gedacht?
»Ich glaube, ich hab’s kapiert.« In ihren Augenwinkeln taucht ein schwaches Lächeln auf. »Und wie geht’s Sam?«
Ich spanne mich an. »Wieso fragst du?«
Das Lächeln verschwindet. »Er war gestern hier. Wollte über dich sprechen, wollte meine Meinung hören … Da er das Gefühl hat, mit dir nicht reden zu können, muss er’s bei jemand anderem herauslassen. Reeve, das ist gar nicht gut. Alles in Ordnung mit dir? Kann ich dir irgendwie helfen?«
»Ja, du kannst das Thema wechseln«, sage ich leichthin, aber sie erstarrt bei diesen Worten geradezu. »Ich hab was gesagt, das Sam mir übel genommen hat, aber das müssen wir unter uns ausmachen.« Vor Zorn und Schuldgefühlen schäume ich innerlich, lasse aber nichts heraus. Schließlich
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