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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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einzukreisenden Angriffsziele haben wir schon vor langer Zeit aus dem Verkehr gezogen. Aber diejenigen, die uns nach wie vor eine Nasenlänge voraus sind, haben es leider an sich, viel schwerer zu packen zu sein.
    Ich muss nicht lange warten. Es ist etwa eine Zehntel Kilosekunde vergangen, als der lispelnde Junge wieder auftaucht. »Frau Sanni sagt, der Honigtopf fließt über. Ich bring dich zu ihr.«
    Der Honigtopf fließt über: Das klingt gar nicht gut. Ich reiche dem Jungen die beiden Münzen. »Okay, wohin jetzt?«
    Unmittelbar vor meiner Nase verschwindet er schnell, aber nicht so schnell, dass ich ihm nicht folgen könnte. Innerhalb weniger Sekunden passieren wir den hinteren Teil einer fragwürdigen Gasse und gelangen in ein Labyrinth nichts sagender Hinterhöfe. Danach steigt der Junge über einen wackeligen Holzzaun, biegt in eine andere Gasse ein - diese hier ist voller Komposthaufen, die unglaublich stinken - und geht auf eine nicht gekennzeichnete Hintertür zu. »Die is da drin.«
    Meine Hand fährt an den Schwertgriff. »Wirklich?« Ich sehe den Jungen scharf an, danach fällt mein Blick auf zwei tote Halunken, die neben der Hintertreppe aneinanderlehnen. Der Junge grinst mich strahlend an.
    »Du hast doch gesagt, ich soll nachsehen, ob in der Hintergasse Straßenräuber lauern, Robin.«
    »Sanni?«
    Als er mit jungenhafter Unverfrorenheit eine Verbeugung andeutet, ziehe ich eine Augenbraue hoch. Die Halunken sehen so aus, als schliefen sie, wäre da nicht das Blut, das ihnen aus den Nasen tropft. Ausgezeichnete Arbeit für jemanden vom Geheimdienst, der kein Experte im Einsatz von Wetware ist. »Wir haben nicht lange Zeit. Authentifiziere mich.«
    Also gehen wir routinemäßig alles durch (»Verrat mir ein Wissen, das nur wir teilen / Deine Nachricht soll mich zu festgesetzter Zeit ereilen / Nenn mir ein Geheimnis und beweise, wer du bist / durch etwas, das nur dir eigen ist«) - all das, was die Republik Is früher an unserer Stelle getan hat. »Okay, Boss, warum hast du mich hergeholt?« Sanni ist jetzt zwar nicht mehr mein Boss, aber alte Gewohnheiten sterben langsam.
    »Der Honigtopf hat ein Leck.« Der Junge lässt das Lispeln und richtet sich so auf, dass Sannis wahre Persönlichkeit durch diesen schmalen, dreihundert Megasekunden jungen Körper hindurchschimmert. »Wir - das heißt Vera Sechs - haben vor rund zwanzig Megasekunden erfahren, dass eine Gruppe uns bekannter Gespenster in der Unsichtbaren Republik ihr Unwesen treibt. Sie haben sich wirklich lawinenartig ausgebreitet. Sieht so aus, als hätten sie mehrere Gedächtniswäschereien - also Kliniken, die Eingriffe in die Erinnerungen durchführen - infiltriert und das Glashaus in ihre Gewalt gebracht.«
    Ich lehne mich gegen die Wand. »Das Glashaus ?«
    Sanni nickt. »Jemand wird hineingehen müssen, um dort gründlich durchzuputzen. Jemand anderes als ich. Ich habe vor fünf Megs eine Verkörperung von mir reingeschickt, aber sie hat sich noch immer nicht bei mir gemeldet. Ich fürchte, wir können dort nur sorgfältig getarnt vorgehen.«
    »Scheiße! Verdammter Schweinemist!« Ich sehe die toten Halunken so finster an, als wären sie schuld daran.
    Das Glashaus ist ein Rehabilitationszentrum für Kriegsgefangene. Die Szenerie ist so gestaltet, dass sie die Resozialisierung fördern soll. Sie soll dazu beitragen, dass die Kriegsgefangenen sich wieder in eine Gemeinschaft integrieren, die vage einer Nachkriegsgesellschaft ähnelt. Das Glashaus liegt auf einem Raumschiff, das früher als Mobiler Archiv-Einspeiser gedient hat. Jetzt ist es so konfiguriert, dass es ein kompaktes Gemeinwesen darstellt, das nur über ein einziges T-Tor als Ein- und Ausgang verfügt. Die Leute, die hineingehen, sind Kriegsverbrecher, die Leute, die herauskommen, Zivilisten. Zumindest lautete so das ursprüngliche Umerziehungskonzept.
    »Was geht dort vor sich?«, frage ich.
    »Ich glaube, irgendjemand hat unseren Einsatzplan auffliegen lassen«, erwidert Sanni. Während mir ein Schauer über den Rücken läuft, starre ich zu den Halunken hinüber. »Ja«, sagt die Sanni in Jungengestalt, als sie merkt, wohin ich blicke. »Ich hab ja schon gesagt, dass uns wenig Zeit bleibt. Eine Gruppe, die sich aus mehreren unserer Einsatzgegner rekrutiert, hat das Kommissariat für Strategische Amnesie der Unsichtbaren Republik infiltriert und die Budget- und Betriebsverwaltung des Glashauses übernommen. Alle früheren Insassen haben sie entlassen. Wir wissen nicht mehr,

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