Glashaus
Zielhafen ankommen, kann sie das Netzwerk mit dieser neuen Population von Überträgern überschwemmen …«
»Das wird nicht passieren«, sage ich mit einem Lächeln, das eher ein Zähneblecken ist. »Daran darfst du niemals zweifeln. Die glauben, sie hätten uns hier eingesperrt. Aber wir müssen es so sehen, dass es für uns kein Zurück gibt.«
»Glaubst du denn, dass wir frontal gegen sie vorgehen können?«, fragt Sanni. Einen Moment lang ist sie ganz Janis: einsam, innerlich kaputt und verängstigt.
»Du wirst schon sehen, was ich auf die Beine stelle.«
Der übrige Tag vergeht ohne besondere Vorkommnisse. Nachdem ich mich von Janis verabschiedet habe, gehe ich wie üblich nach Hause. Zumindest muss es für jeden, der mich beobachtet, so aussehen. Die letzten Stunden habe ich mit Tagträumereien verbracht, widersprüchliche Erinnerungen im Kopf herumgewälzt und herauszufinden versucht, wo ich im Moment stehe. Es ist überaus seltsam: Einerseits kann ich Reeves Entsetzen nachempfinden, als sie den toten Mick findet, genau wie ihre Angst und Vorahnung, dass Janis vielleicht nicht »vertrauenswürdig« ist, und die gefährliche Anziehung, die die freundliche, offene Dr. Hanta auf sie ausübt. Andererseits verfüge ich über die Erfahrungen von Robin, der auf Zehenspitzen im Rathaus herumgeschlichen ist, versperrte Bereiche entdeckt hat und mit knapper Not ein Zusammentreffen mit dem echten Fiore vermeiden konnte. Der im Krankenhaus Mick bei Cass erwischt hat. Der in der Bücherei bei einer Janis hereingeschneit ist, die zunächst ein schlechtes Gewissen und Angst hatte. Bei dem langsam die Überzeugung wuchs, dass Janis keine unbeteiligte Zuschauerin, sondern eine Verbündete ist. Und danach folgten die Authentifizierungsrituale und der Schock des wechselseitigen Wiedererkennens.
Janis ist hier drinnen fast ein halbes Jahr länger als ich auf sich allein gestellt gewesen. Als ihr klar wurde, dass sie jetzt einen Partner hat, ist sie zusammengebrochen und hat geweint. Sie war fest davon überzeugt gewesen, es könne nur eine Frage der Zeit sein, bis Dr. Hanta sich mit ihr befassen würde. Furcht, Isolation, die Angst vor dem mitternächtlichen Klopfen an der Tür: All das laugt einen im Laufe der Zeit aus. Janis wurde schwanger, ehe irgendjemand diesen Teil des Plans durchschaut hatte. Es wundert mich, dass sie überhaupt noch funktioniert.
Das Punktesystem und die in diesem Experiment geltenden Verfahrensweisen stellen ein echtes Hindernis für uns dar. Soweit wir es beurteilen können, wäre es durchaus möglich, dass die halbe Bevölkerung des YFH-Gemeinwesens Zellen der einen oder anderen Splittergruppe angehört, hier im Dunkeln tappt, aber nicht das Risiko eingehen will, sich offen zu erkennen zu geben. Doch falls es uns nicht irgendwie gelingt, diesen künstlichen Überbau zu kippen, den die herrschende Clique errichtet hat, werden wir es nicht schaffen, uns mit unseren potenziellen Bündnispartnern zusammenzuschließen und unsere wahren Gegner zu erkennen. Teile und herrsche: Das hat sich bewährt, wie man weiß.
Nach einem Abstecher in den Eisenwarenladen bin ich zeitig wieder zu Hause. Da Sam nicht da ist, gehe ich sofort in die Garage, um nachzusehen, was ich dort tun kann. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt für Selbstvorwürfe, aber ich bin wirklich sauer auf mich. Dieses ganze Zeug wollte ich rausschmeißen! Das hätte sich doch schon deshalb verbieten müssen, weil ich die Herstellung historischer Waffen faszinierend fand. Vielleicht werde ich es irgendwann als Hobby pflegen, wenn das hier vorbei ist und falls ich mir den Luxus erlauben kann.
Trotzdem werde ich die Armbrust jetzt wohl nicht brauchen. Genauso wenig wie das Schwert, an dem ich mich versucht habe. Sanni und ich verfügen über einen nicht verseuchten Assembler mit voller militärischer Produktionskapazität. Wir haben ihn letzte Nacht vor sich hin brodeln lassen, damit er - langsam und mühevoll - einen Vorrat an Polynitrohexose-Bausteinen herstellt. Es dauert lange, mit einem A-Tor Waffen herzustellen, und je höher die Energiedichte, desto länger braucht dieser Prozess. Also haben wir uns notgedrungen auf chemisch betriebene Waffen geeinigt. Der erste Satz von Maschinenpistolen wird fertig sein, wenn wir morgen zur Arbeit kommen. Was logischerweise zur nächsten Frage führt: Wo ist meine Tasche mit dem Faradaykäfig gelandet? Sie muss irgendwo in diesem Stapel sein.
Ich hüpfe auf dem Berg von verstreuten Stahlstangen
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