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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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essen bestellen. Es ist ein Netzanschluss, der nur als Sprechverbindung funktioniert.«
    »Was soll das heißen: wenn du’s nicht weißt?« Ich ziehe eine Augenbraue hoch.
    »Ich wiederhole nur, was der Slate sagt«, erwidert Sam leicht defensiv.
    »Gib ihn mir mal rüber.« Hastig überfliege ich den Text, den Sam soeben gelesen hat. Häusliche Pflichten. Offenbar haben sich Menschen, die in der dunklen Epoche zusammenlebten, die Arbeit geschlechtsspezifisch aufgeteilt. Während die Männer tagsüber bezahlten Tätigkeiten nachgingen, wurde von den Frauen in dieser Zeit erwartet, das Haus sauber und ordentlich zu halten, Lebensmittel einzukaufen und das Essen zuzubereiten, für Kleidung zu sorgen, sich um die Wäsche zu kümmern und die Haushaltsgeräte zu bedienen. »Das ist doch völliger Quatsch!«, sage ich.
    »Findest du?« Er sieht mich merkwürdig an.
    »Na ja, das stammt doch direkt aus den primitivsten Anthro-Kulturen, die noch keine Technologien kannten. Es gibt nicht eine einzige moderne Gesellschaft, die von der Hälfte ihrer Arbeitskräfte erwartet, dass sie zu Hause bleibt, und die Arbeitsteilung nach völlig willkürlichen Kriterien organisiert. Ich weiß ja nicht, wo sie diesen Unfug hernehmen, aber er leuchtet mir überhaupt nicht ein. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass sie überlieferte dogmatische Empfehlungen mit der Sache selbst verwechselt haben.« Ich tippe mit dem Finger auf den Slate. »Ehe ich das hier als Tatsache hinnehme, würde ich mir gern einige seriöse Untersuchungen über die sozialen Bedingungen in dieser Epoche ansehen. Außerdem müssen wir ja auch gar nicht so leben, selbst wenn sie die Mehrheit der Zombies im Gemeinwesen unter diese Knute zwingen. Es ist nur eine allgemeine Richtlinie. Und in jeder Zivilisation gibt es eine Menge Leute, die sich nicht an die allgemeinen Richtlinien halten.«
    Sam wirkt nachdenklich. »Also glaubst du, dass die Versuchsleiter einem Irrtum aufgesessen sind?«
    »Nun ja, ich kann’s erst mit Sicherheit sagen, wenn ich mir deren Primärquellen vorgenommen und versucht habe, alles Tendenziöse herauszufiltern. Aber auf keinen Fall mache ich die ganze Hausarbeit.« Um meinen Worten die Schärfe zu nehmen, grinse ich ihn an. »Hast du vorhin nicht erwähnt, dass man das Essen auch übers Telefon bestellen kann?«

    Das Abendessen besteht aus einer runden, mit Käse überbackenen, brotähnlichen Scheibe, die man Pizza nennt. Genießbarer ist das heiße, fettige Zeug dadurch, dass es mit Tomatenpaste bestrichen und zusätzlichen Dingen belegt ist. Die Pizza wird uns nicht mit einem Lastwagen geliefert, sondern taucht in dem Kurzstreckentor des Schrankes auf, der im verglasten Eingangsbereich steht, was mich leicht enttäuscht. Allerdings wird der Lastwagen wohl bis morgen warten können, schätze ich.
    Nach dem Abendessen taut Sam ein bisschen auf. Ich ziehe meine Schuhe und Strumpfhosen aus und mache Sam klar, dass er sich ohne sein Jackett und das Ding, das man Krawatte nennt, sicher besser fühlen wird - nicht, dass dazu viel Überzeugungsarbeit nötig wäre. »Ich weiß nicht, warum die so was getragen haben«, jammert er.
    »Ich werd später mal nachsehen.« Immer noch sitzen wir auf dem Sofa, balancieren die offenen Pizzaschachteln auf dem Schoß und essen die fettigen heißen Teigstücke mit den Fingern. »Warum hast du dich eigentlich freiwillig für das Experiment gemeldet, Sam?«, frage ich irgendwann.
    »Wieso willst du das wissen?« Er reagiert übernervös.
    »Du bist menschenscheu, und gesellschaftliche Zusammenkünfte liegen dir nicht. Immerhin hat man uns von Anfang an darauf hingewiesen, dass wir eine Zehntel Gigasekunde in einer Gesellschaft der dunklen Epoche leben müssen und keine Möglichkeit haben, früher auszusteigen. Ist dir denn nie der Gedanke gekommen, dass das Projekt für dich nicht das Wahre ist?«
    »Das ist eine sehr persönliche Frage.« Er verschränkt die Arme.
    »Ja, stimmt.« Ich sehe ihn schweigend an.
    Einen Moment lang wirkt er so deprimiert, dass ich meine Frage am liebsten zurücknehmen würde. »Ich musste weg«, murmelt er schließlich.
    »Weg von wem oder was?« Ich stelle meine Schachtel ab und schlurfe über den Teppich zu einer großen hölzernen Kommode hinüber, die mit Schubladen und Fächern voller Alkoholflaschen ausgestattet ist. Nachdem ich zwei Gläser herausgeholt habe, mache ich eine Flasche auf, schnüffle am Inhalt - man kann ja nie wissen, was es ist, solange man nicht davon

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