Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
Vom Netzwerk:
ist größer als ich. Ich bin körperlich schwach (wartet nur, bis ich diesen Scherzkeks in die Finger bekomme, der sich das ausgedacht hat) , aber wenn ich Sam nicht völlig falsch beurteile, hat er eine gute Kinderstube genossen. »Wir können genauso gut das Beste daraus machen. Man erwartet von uns, dass wir mit einer Person des anderen Geschlechts eine Wohnung beziehen. Danach richten wir uns dort häuslich ein, lesen die Instruktionen durch, tun alles, was die uns auftragen, und gehen am Sonntag zur Kirche, um uns zu erkundigen, wie es den anderen geht. Glaubst du, das könntest du schaffen, wenn du es wie einen Job behandelst?«
    Sam stellt sein leeres Glas mit der Präzision eines leicht Angetrunkenen auf dem Tisch ab und zieht seinen Slate heraus. »Ich könnte es schaffen … aber hier steht, dass die ›Kernfamilie‹ nicht nur eine wirtschaftliche Verbindung darstellte, sondern dass dabei auch Sex eine Rolle spielte.« Er schweigt einen Moment. »Ich tue mich schwer mit intimen Beziehungen. Besonders mit Fremden.«
    Bist du deshalb innerlich so angespannt? »Das muss ja nicht unbedingt ein Problem sein.« Ich nehme noch einen Schluck Wein. »Hör mal«, unwillkürlich blicke ich zu der Kamera an der Decke hinauf (vielen Dank auch, Cass!) , »ich bin mir sicher, dass keines dieser Arrangements unbedingt auf Dauer angelegt ist. Wir können alle Irrtümer rückgängig machen, wenn wir uns am ersten Wochentag - war’s Sonntag? - in der Kirche treffen. Und in der Zwischenzeit«, ich blicke zu ihm hinauf, »ist mir egal, was du tun oder lassen willst. Wir müssen ja nicht miteinander schlafen, es sei denn, wir wollen es beide. Kommst du damit klar?«
    Er mustert mich ein Weilchen. »Könnte funktionieren«, erwidert er leise.
    Mir wird bewusst, dass ich mir soeben einen Gatten ausgesucht habe. Ich hoffe nur, dass er nicht einer meiner Verfolger ist …
    Was als Nächstes passiert, ist ernüchternd: Wahrscheinlich hat jemand durch das Überwachungsgerät zugesehen, was sich in der Gruppe getan hat, denn nach wenigen Hundert Sekunden melden sich unsere Slates mit Klingeltönen, und wir erhalten die Anweisung, paarweise und im Abstand von mindestens zwei Sekunden durch die hintere Tür des Vortragsraums nach draußen zu gehen. Wir befinden uns bereits im YFH-Gemeinwesen, im untergeordneten Netzwerk der Verwaltung, jenseits des für Langstrecken-Sprünge vorgesehenen T-Tors, das zurück in die Unsichtbare Republik führt. Hinter der nächsten Tür gibt es ein internes System von Toren, die uns über kurze Strecken befördern können und dafür sorgen, dass wir zu den uns zugeteilten Wohnungen gelangen.
    Also nehme ich Sams Hand - sie ist riesig, liegt jedoch schlaff in meiner und ist ein bisschen feucht - und führe ihn zur Tür. »Bist du so weit?«, frage ich.
    Er nickt und sieht dabei unglücklich aus. »Bringen wir’s hinter uns.«
    Ein Schritt vorwärts. »Hinter uns? Es wird«, noch ein Schritt, »mindestens drei Jahre dauern, bis wir’s hinter uns haben!« Schon stehen wir in einem wirklich winzigen Raum, vor einer weiteren Tür, umgeben von unglaublichem Plunder. » Hier wohnen wir?«, frage ich und kreische leise auf, während er meine Hand loslässt und sich umdreht.

4
    der einkauf
     
     
     
    REEVE UND SAM BROWN (in Wirklichkeit heißen sie - wir - anders) sind ein Paar der Mittelschicht, das irgendwann in der Zeit zwischen 1990 und 2010 lebt, in der Mitte der dunklen Epoche. Man bezeichnet die beiden als »verheiratet«, was bedeutet, dass sie zusammenleben und theoretisch eine monogame Beziehung pflegen, und zwar mit offizieller Billigung des Staates und der ideologischen und religiösen Autoritäten. Sie erfüllen von der Öffentlichkeit respektierte Rollen.
    Wie es das Forschungsprojekt will, sind die Browns gegenwärtig beide arbeitslos, verfügen jedoch über genügend Ersparnisse, um davon etwa einen »Monat« lang bequem leben zu können, während sie sich in ihrer neuen Umgebung einrichten und Arbeit suchen. Sie sind gerade in ein zweigeschossiges Haus in der Vorstadt gezogen und haben einen eigenen Garten - offenbar ein Relikt früherer Landwirtschaft, das aus ästhetischen Gründen oder der Traditionspflege zuliebe beibehalten wurde. Das Haus liegt an einer Straße und ist nach beiden Seiten hin durch hohe Bäume von anderen, ähnlich wirkenden Häusern abgeschirmt. Eine »Straße« ist eine offene Zugangspassage, die dazu dient, den Transport mittels Automobilen und Lastwagen auf

Weitere Kostenlose Bücher