Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
Vom Netzwerk:
probiert hat -, schenke uns ein, trage die Gläser zum Sofa hinüber und reiche Sam eins.
    »Als ich aus der Reha kam …« Er starrt auf den Fernseher, was ich seltsam finde, da das Gerät ausgeschaltet ist. Über die Füße hat er irgendwelche kurzen, dicken Überzieher gestreift. Ich kann sehen, dass seine Zehen nervös zucken. »Als ich aus der Reha kam, haben mich zu viele Leute gekannt. Ich hatte Angst. Ich hab mir das hier selbst eingebrockt, glaube ich, aber wenn ich geblieben wäre, hätten sie mir vielleicht etwas angetan.«
    »Etwas angetan?« Sam ist groß, dicht behaart, bewegt sich nicht sonderlich schnell und scheint ein sehr sanftmütiger Mensch zu sein. Mir ist zwar schon der Gedanke gekommen, dass ich mit ihm eine Niete gezogen haben könnte, denn eine derart enge »Kernbeziehung« bietet ja auch Möglichkeiten, den Partner zu misshandeln, doch er ist so schüchtern und zurückhaltend, dass er mir wohl kaum Probleme machen wird.
    »Ich war leicht durchgeknallt«, erklärt er. »Du weißt doch, dass manche Leute nach dem Löschen grundlegender Erinnerungen aus dem Langzeitgedächtnis eine dissoziative psychopathische Phase durchmachen, nicht? Bei mir war’s wirklich schlimm . Ich hab ständig vergessen, Back-ups anzulegen, hab Streitereien vom Zaun gebrochen, sodass mich Menschen zu ihrer Selbstverteidigung immer wieder töten mussten. Ich hab mich wirklich lächerlich aufgeführt. Als ich mit dieser Phase durch war …« Er schüttelt den Kopf. »Manchmal möchte man nur noch verschwinden und sich verstecken. Vielleicht hab ich mich zu gut versteckt.«
    Ich sehe ihn scharf an und komme zu dem Schluss, dass ich ihm nicht glaube. »Wir alle führen uns hin und wieder lächerlich auf«, erwidere ich und versuche, ihn damit ein bisschen zu beruhigen. »Hier, probier mal.« Ich hebe mein Glas. »Angeblich ist das Wodka.«
    »Auf das Vergessen.« Er prostet mir zu. »Und auf morgen.«

    Ich wache allein in einem fremden Zimmer auf, auf einem Schlafpodest, zugedeckt mit einem Stoffsack, der mit irgendwelchen Fasern gefüllt ist. Da ich nicht weiß, wo ich bin, gerate ich kurz in Panik. Mein Kopf tut mir weh, und es kommt mir so vor, als hätte ich Sandkörner in den Augen. Wenn das hier das Leben in der dunklen Epoche ist, kann ich gut und gern darauf verzichten. Wenigstens versucht derzeit niemand, mich umzubringen, sage ich mir, um der Situation irgendetwas Positives abzugewinnen. Gleich darauf wälze ich mich aus dem Bett, strecke mich und mache mich auf den Weg zum Badezimmer.
    Was folgt, ist meine Schuld, weil ich so geistesabwesend bin. Auf dem Rückweg zu meinem Schlafzimmer, wo ich mich anziehen will, renne ich Hals über Kopf in Sam hinein. Er ist nackt, hat trübe Augen und wirkt noch wie im Halbschlaf, als ich plötzlich an seiner Brust klebe. »Uff«, sage ich, während er gleichzeitig fragt, ob mit mir alles in Ordnung ist.
    »Ich glaube schon.« Hastig ziehe ich mich einige Zentimeter von ihm zurück und schaue ihm ins Gesicht. »Tut mir leid. Und wie geht’s dir?«
    Er wirkt beunruhigt. »Wir sollten doch Kleidung und … äh … andere Dinge besorgen gehen, stimmt’s?«
    Plötzlich bin ich leicht genervt, weil mir bewusst wird, dass wir beide nackt sind. Er ist größer als ich und am ganzen Körper behaart. »Ja, das hatten wir vor.« Vorsichtig mustere ich ihn. All diese Haare. Außerdem ist er längst nicht so grazil gebaut, wie ich es normalerweise mag. Und jetzt merke ich, dass er mich so betrachtet, als sähe er mich zum ersten Mal.
    Es ist ein heikler Moment, doch dann schüttelt er den Kopf und löst damit die Spannung zwischen uns. »Stimmt.« Er gähnt. »Kann ich noch kurz ins Bad gehen?«
    »Klar.« Als ich zur Seite ausweiche, schlurft er an mir vorbei. Ich drehe mich um und sehe ihm nach. Mir ist nicht ganz klar, was ich davon halten soll, ein »Haus« mit einem Fremden zu teilen, der größer und stärker ist als ich und selbst zugegeben hat, dass er früher Anflüge von Gewalttätigkeit hatte. Aber … wer bin ich, um mich zum Richter aufzuschwingen? Als ich Kay gerade mal so lange kannte wie jetzt Sam, sind wir zusammen zu einer wilden Sexorgie gegangen und haben gebumst, bis uns alles wehtat, und wenn das kein impulsives Verhalten ist, dann weiß ich auch nicht … Vielleicht hat Sam recht. Sex macht in unserer Lage tatsächlich alles unnötig kompliziert, besonders, wenn wir noch nicht einmal die Regeln dieser Gemeinschaft kennen. Falls es überhaupt welche gibt. Vage

Weitere Kostenlose Bücher