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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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Vorwurf, an dem was dran sein könnte, würden so viele von uns in dieser gläsernen Schneekugel von Universum hausen, dass sich tatsächlich so etwas wie modische Strömungen entwickeln könnten. Doch in Wirklichkeit greifen wir ja nur auf eine in Bruchstücken erhaltene historische Datenbank zurück, die Informationen über die damalige Kleiderordnung enthält. Und die altmodischen 1950er-Jahre durchlaufen wir in einem Tempo, bei dem zwanzig Tage unseres Aufenthalts einem ganzen Erdenjahr entsprechen.
    Was die übrige Versorgung betrifft … bin ich Stammkundin im Eisenwarenladen. Wahrscheinlich nimmt Sam an, ich würde all das schöne Geld, das er verdient, nur für Make-up, neue Frisuren und Ähnliches ausgeben, dabei sorge ich in Wirklichkeit für das reine Überleben. Falls und wenn die Attentäter mich aufspüren, müssen sie mit einem Kampf rechnen. Sam hat seit unserem Einzug meines Wissens noch keinen Blick in die Garage geworfen. Falls doch, wären ihm bestimmt der Schlagbohrer, die Schweißerausrüstung, die Metall- und Holzteile, die Nägel, der Klebstoff und die Werkbank aufgefallen. Und die Handbücher: Die Armbrust in Mittelalter und Neuzeit; Militärische und sportliche Nutzung der Armbrust; Historische Konstruktionen und Funktionsweisen der Armbrust. Ist schon komisch, was die dunkle Epoche überdauert hat.
    Derzeit lese ich einen fettleibigen Band mit dem Titel Ratgeber für Schwertschmiede . Mein Wahnsinn hat Methode. Zwar sehe ich derzeit keine Möglichkeit, ein Strahlengewehr oder sonstige moderne Waffen in die Finger zu bekommen, und ich bin nicht so selbstmörderisch veranlagt, in einem mit Druck ausgestatteten Habitat, dessen physische Gegebenheiten ich nicht kenne, mit Sprengkörpern herumzuexperimentieren. Mir ist jedoch aufgefallen, dass sich mit den Spielzeugen, die man in einer Mechanikerwerkstatt der dunklen Epoche fabrizieren kann, durchaus ein Gemetzel veranstalten lässt. Bei der Konstruktion der Armbrust bereitet mir vor allem eines Kopfzerbrechen: Ich muss die Rotationsachse in jedem Sektor des Habitats genau kennen, damit ich beim Zielen die Corioliskraft entsprechend berücksichtigen kann. Und dazu brauche ich ein Senkblei und einen auf Lasertechnik basierenden Entfernungsmesser.
    Sobald ich mich in der Öffentlichkeit bewege, gebe ich mir alle Mühe, als völlig andere Person zu erscheinen. Niemand soll auf die Idee kommen, dass ich am Aufbau eines Waffenarsenals arbeite.
    Die Damen unserer Gruppe - das heißt Jen, Angel, Alice und ich, denn Cass’ Mann verbietet ihr nach wie vor jeden Ausgang - treffen sich dreimal in der Woche zum Mittagessen. Ich unterlasse es, mich jemals nach Cass zu erkundigen, denn ich möchte Jen nicht auf die Idee bringen, dass ich mich für Cass interessiere. Sie würde es mir als Schwäche anlasten und überlegen, wie sie diese Schwäche am besten ausnutzen kann. Auf jeden Fall möchte ich verhindern, dass sie etwas gegen mich in die Hand bekommt, also putze ich mich heraus, treffe mich mit den Damen in einem Restaurant oder Café, lächle und höre höflich zu, wenn sie sich über die Arbeit ihrer Gatten unterhalten oder den neuesten Klatsch über ihre Nachbarn verbreiten. Die neun anderen Häuser an meiner Straße stehen derzeit leer - was ungewöhnlich ist. Sobald die nächsten Gruppen von Versuchspersonen eintreffen, werde auch ich Nachbarn bekommen. Offenbar haben die anderen Frauen Nachbarn, die zu anderen Scharen gehören, und das liefert eine Flut von Klatsch und Tratsch, die quer durch den moralischen Sumpf der bigotten Vorstadt schwappt.
    »Ich glaube, wir können bald aufholen, soweit es den Punktestand der Schar Drei betrifft«, sagt Jen eines Tages, während sie ein spanisches, mit Paprika gewürztes Omelett verspeist. Sie klingt so, als hätte sie etwas in der Hinterhand.
    »Ach ja?«, fragt Angel wissbegierig.
    »Ja.« Jen wirkt selbstgefällig.
    »Dann erzähl.« Alice legt ihre Gabel ab, in die kläglichen Reste ihres Caesar-Salats. Sie bemüht sich, Interesse zu heucheln, doch mich kann sie nicht täuschen. Jen wirft ihr einen scharfen Blick zu und sticht weiter auf ihr Omelett ein.
    »Esther und Mal wohnen am anderen Ende der Straße, in der Chris und ich leben, am Lakeside View .« Jen hat ein Stück Omelett auf die Gabel gespießt, das dort in der Luft hängt und wackelt, damit wir endlich aufmerken, und kaut nachdenklich. »Mir ist aufgefallen, dass Esther mich an manchen Vormittagen von ihrem Garten aus beobachtet. Also hab ich

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