Glashaus
Menschen die Knochen eindrückt, genauer gesagt: Jens Knochen zermahlt. Nachdem ich sie zu einem blutigen Klumpen in der Größe eines Einkaufsbeutels zerquetscht habe, fühle ich mich zwar ausgelaugt, aber glücklicher als zuvor und bereit, schwierige Aufgaben in Angriff zu nehmen. Also sehe ich nach Sam.
Er ist im Wohnzimmer und starrt mit leerem Blick auf den Fernseher, dessen Ton abgestellt ist. Er registriert kaum, dass ich mich neben ihn setze. »Was ist mit dir los?«, frage ich.
»Ich …« Er schüttelt nur traurig den Kopf.
Als ich nach seiner Hand greife, entzieht er sie mir. »Liegt’s an mir?«, frage ich.
»Nein.«
Nochmals greife ich nach seiner Hand und halte sie fest. Diesmal zieht er sie nicht weg, aber er wirkt verkrampft.
»Was ist es dann?«
Ich rechne gar nicht mehr mit einer Antwort und will es gerade erneut versuchen, als er schließlich seufzt: »Es liegt an mir selbst.«
»Woran?«
»An mir. Ich bin hier am falschen Ort.«
»Wie bitte?« Ich sehe mich um. »Meinst du das Wohnzimmer?«
»Nein, dieses Gemeinwesen.«
Jetzt kapier ich’s. Er ist nicht wütend, sondern deprimiert. Wenn er niedergeschlagen ist, verschließt sich Sam wie eine Auster und frisst alles in sich hinein, anstatt es an seiner Umwelt auszulassen.
»Dann erklär’s mir. Versuch mich davon zu überzeugen.« Ohne seine Hand loszulassen, rutsche ich näher an ihn heran. »Tu so, als wäre ich einer der Versuchsleiter, bei dem du dein vorzeitiges Ausscheiden durchsetzen willst, ja?«
»Ich bin …« Er sieht mich seltsam an. »Wir sollen ja nicht darüber reden, wer wir vor dem Versuch waren. Weil es nicht zur Eingewöhnung in diese Zivilisation beiträgt und sogar ein Hindernis darstellen könnte …«
»Aber ich …« Ich gerate ins Stocken. »Okay, wie wär’s, wenn du’s nur mir erzählst? Ich erzähl’s auch nicht weiter.« Ich sehe ihm in die Augen. »Schließlich erwartet man von uns, dass wir als Paar wie die Monaden leben. Und in dieser Gesellschaft gibt es zwischen Paaren keine Negativ-Summen-Spiele, stimmt’s?«
»Keine Ahnung.« Er schnaubt. »Du könntest es herumerzählen.«
»Wem?«
»Deiner Freundin Cass.«
»Quatsch!« Ich boxe ihn leicht auf den Arm. »Hör mal, was ist, wenn ich dir verspreche, es niemandem zu erzählen?«
Er sieht mich nachdenklich an. »Versprich es.«
»Okay, ich verspreche es.« Ich schweige kurz. »Also, was ist mit dir los?«
Er zieht die Schultern ein. »Ich hab gerade einen Eingriff in meine Erinnerungen hinter mir«, sagt er langsam. »Übrigens nehme ich an, dass Fiore, Yourdon und ihr Tross die meisten von uns bei dieser Gelegenheit aufgegabelt haben. Eine Reha-Klinik für Leute, deren Erinnerungen gelöscht wurden, ist bestimmt wunderbar dazu geeignet, Versuchspersonen zu rekrutieren. Versuchspersonen, die zwar gesund sind, aber alles, was sie mal wussten, vergessen haben. Menschen, die sich aus alten Lebensmustern gelöst haben und kaum noch soziale Beziehungen haben. Wenn jemand funktionierende Beziehungen und enge Bindungen hat, lässt er sich ja nicht freiwillig auf eine Ausmerzung von Erinnerungen ein, oder?«
»Kommt sicher nur selten vor«, erwidere ich, leicht beunruhigt durch eine vage Erinnerung an Armeeoffiziere, die mich instruieren, weil es in einem anderen Leben Probleme gibt, die schnelles Handeln erfordern: Es ist etwas Unvorhergesehenes eingetreten, eine üble Sache.
»Es sei denn, man will etwas vor sich selbst verbergen.«
Ich schaffe es, ihm ein amüsiertes Lachen vorzutäuschen. »Das halte ich nicht für besonders verbreitet. Du etwa?«
»Ich … Na ja. Was emotionale Bindungen betrifft, neige ich zur Selbstbeschränkung. Ich hatte nur wenige, aber tiefe Beziehungen. Eine Familie. Aber es ist alles schiefgelaufen, aus Gründen, auf die ich hier nicht näher eingehen will. Vielleicht hätte ich was dran ändern können, vielleicht auch nicht. Wie auch immer - es ist, grob umrissen, das, woran ich mich erinnere. Der Rest besteht aus den Entwürfen eines Außenstehenden, aus implantierten, rekonstruierten Erinnerungen, die an die Stelle dessen getreten sind, was mir einst etwas bedeutet haben mag. Denn ich war, gelinde gesagt, ausgebrannt. Ohne den Eingriff in meine Erinnerungen hätte ich vielleicht Selbstmord begangen. Ich neige nämlich zu Verlustdepressionen und hatte gerade alles verloren, was mir irgendwas bedeutet hat.«
Ich halte seine Hand und wage es nicht, mich zu rühren. Plötzlich frage ich mich, welche emotionale
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