Glashaus
solche Schwerter schon früher gesehen. Biffe Klingen nennt man sie, ich weiß auch nicht, warum. Dieses Schwert wird offensichtlich nicht mehr benutzt, aber wie ist es hierhergelangt? Solche Schwerter brauchen weder einen scharfen Rand noch eine Spitze, um zu schneiden, dafür sind sie nicht gedacht. Sie gehörten seinerzeit zu … Zu wem oder was? Ich zermartere mir das Hirn und versuche zur Quelle dieser schrecklichen Gewissheit vorzustoßen, dass ich mitten in einer absolut üblen Geschichte gelandet bin. In einer Sache stecke, die in kein experimentelles Gemeinwesen gehört und der ein ekelerregender Gestank von Verworfenheit anhaftet. Doch mein treuloses Gedächtnis lässt mich mal wieder im Stich.
Während ich mich verzweifelt gegen die verriegelte Tür zu meiner eigenen Geschichte werfe, kehre ich ins Tageslicht zurück, kneife die Augen zusammen und frage mich, ob ich womöglich völlig falsch liege. Ob Cass tatsächlich Kay ist. Ob Mick in Wirklichkeit gar nicht gewalttätig ist. Ob ich mich vielleicht auch in dem Schwert und im Kelch getäuscht habe. Und darin, wer und was ich selbst bin …
7
der tiefpunkt
DIE ZEIT VERGEHT SO LANGSAM, als wäre alles ringsum erstarrt. Ich erzähle Sam nichts von den Ereignissen in der Kirche, erwähne weder Cass’ Veilchen noch die Biffe Klinge auf dem Altar. Mit Sam kann man angenehm leben, er hört sich sogar recht gern mein depressives Geschwätz über die Welt der Frauen an. Doch im Hinterkopf wurmt mich ständig die Frage, ob ich ihm vertrauen kann. Ich möchte es gern, aber ich kann nicht mit Gewissheit ausschließen, dass er einer meiner Verfolger ist. Dieser faule Kompromiss zwischen Vertrauen schenken und Risiken vermeiden stellt mich vor ein schreckliches Dilemma. Deshalb erzähle ich ihm nicht, was ich in der Garage oder am Trainingsgerät im Keller treibe, und er gibt mir von sich aus auch nicht viele Informationen über seine tägliche Arbeit. Zwei Damen der Mittagsrunde reden davon, dass sie Dinnerpartys veranstalten möchten, aber wenn wir einer Einladung in einen solchen geselligen Kreis folgen würden, würde man von uns eine Gegeneinladung erwarten, und das wäre ein solcher Stress … Nun ja, ich glaube, keiner von uns beiden hat Lust darauf. Also leben wir einsam und abgeschieden nebeneinanderher, während ich mir Sorgen um Cass mache und Sam viel liest, fernsieht und sich bemüht, unsere Vorfahren besser zu verstehen.
Als wir nach dem fehlgeschlagenen Treffen mit Cass in der Kirche nach Hause kommen, nutze ich meine Netzverbindung dazu, die öffentlich registrierte Punktezahl unserer Gruppe abzufragen. Jen führt die Liste sozialer Verbindungen an, gefolgt von Alice - offenbar tut es Alice gut, mich in Kleiderfragen zu beraten. Zu meiner Verblüffung stelle ich fest, dass ich das Schlusslicht unserer Schar bilde. Bei mir wurden keine sexuellen Aktivitäten registriert, während alle anderen anscheinend mit ihren Partnern schlafen. Stabile Beziehungen zu bilden ist eine gute Möglichkeit, den eigenen Punktestand nach oben zu treiben, und es sind leicht verdiente Punkte. Als ich ein, zwei Wochen zurückgehe, sehe ich, dass Cass regelmäßig Sex mit Mick hat. Irgendwie finde ich das merkwürdig deprimierend. Die anderen beobachten uns, also sollte ich eigentlich mit Sam rummachen, aber ich möchte nichts tun, was Jen irgendein Gefühl von Befriedigung gibt. Selbstverständlich ist das eine unreife Haltung, aber ich bin mir wirklich der Tatsache bewusst, dass die Gruppe ein Auge auf meinen Punktestand hält und nur darauf wartet, dass ich kapituliere. Darauf wartet, dass ich Sam das gebe, was er ihrer Meinung nach doch bestimmt begehrt.
Ihr Pech, dass sie uns in Wirklichkeit gar nicht einschätzen können.
Etwa zwei Wochen später gelange ich schließlich ans Ende meiner Kräfte. Es ist ein heißer, ermüdender Dienstagabend. Den Morgen habe ich damit verbracht, draußen zu trainieren - wir haben noch immer keine Nachbarn, allerdings sollen zwei Familien einziehen, wenn in zwei Wochen die nächste Schar ankommt -, und danach habe ich den ganzen Nachmittag in der Garage gearbeitet. Derzeit versuche ich mit aller Gewalt, das Schweißen wieder zu erlernen. Ich kann von Glück sagen, dass ich mir bis jetzt nicht den Arm abgefackelt oder mich selbst durch einen Stromschlag exekutiert habe.
Ich habe vage Erinnerungen daran, dass ich diese Dinge vor langer Zeit, vor einigen Gigasekunden, schon einmal getan habe, doch es ist so lange her,
Weitere Kostenlose Bücher