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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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zu halten!«
    »Tu’s nicht.« Sie schüttelt den Kopf. »Er wird mich sonst umbringen, ist dir das klar? Falls er annimmt, ich hätte mit jemandem gesprochen, wird er …«
    »Aber wir können dich doch beschützen! Du musst uns nur Bescheid sagen, dann holen wir dich da raus und halten ihn dir vom Leib!«
    Ich hätte mir die Worte genauso gut sparen können. Sie schüttelt den Kopf und zieht sich zur Tür zurück. Ihre Schuhe klappern über den Steinboden. Das Gesicht hinter dem Schleier wirkt nicht nur verängstigt, sondern geradezu entsetzt. Und der weiße Puder auf ihrer Wange reicht nicht, um den gelblichen Flecken eines älteren Blutergusses zu überdecken.
    Mick wartet draußen. Falls er mich hinter Cass herauskommen sieht, wird er wahrscheinlich ausrasten. Allmählich frage ich mich, ob ich Cass richtig einschätze. Als ich sie Kay nannte, hat sie kein Zeichen des Wiedererkennens gegeben. Aber muss das unbedingt etwas heißen? Schließlich ist Kay ein Deckname. Und da sie den Eingriff in ihre Erinnerungen gerade erst hinter sich hat und ich in diesem Spiegelkabinett nicht Robin, sondern Reeve bin … Hätte mich jemand nach diesen zehn Tagen Robin genannt, wäre mir dann sofort klar gewesen, dass ich gemeint bin?
    Frustriert sehe ich mich in der Kirche um und frage mich dabei, ob es hier einen Hinterausgang gibt. Ich befinde mich ganz allein im Kirchenschiff, wohlgemerkt nicht gerade mein Lieblingsort, doch jetzt ist nichts von der feindseligen, fast handgreiflichen Atmosphäre zu spüren, die dieser Ort ausströmt, wenn wir uns hier im Sonntagsstaat zusammendrängen und spekulieren, wer heute als Opferlamm ausersehen wird.
    Während ich darauf warte, dass Mick das Interesse verliert und geht, spaziere ich durch den vorderen Teil des großen Raums und versuche, die Dinge in einem neuen Licht zu sehen. Noch nie war ich auf der Empore. Was bewahrt Fiore in seiner Kanzel auf?, überlege ich, als ich auf den Altar zugehe. Von hinten wirkt die Kanzel recht enttäuschend: Sie besteht nur aus geschnitztem Holz und einem innen angebrachten Regalbrett, auf dem einige Bücher aufgereiht sind. Von dem Roboter, der sich während der Predigten als Lustknabe betätigt - was Fiores eigenartiges Gehabe erklären könnte -, ist dagegen nichts zu sehen. Auch der Altar wirkt recht langweilig: Er besteht lediglich aus einer glatt geschliffenen, exakt rechteckigen Steinplatte. Die Symbole des Glaubens, das Schwert und der Kelch, befinden sich auf einem Metallgestell in der Mitte des purpurroten Altartuchs. Da das Schwert mich fasziniert, schaue ich näher hin. Es sieht seltsam aus: Die Klinge ist schnurgerade und etwa einen Zentimeter dick, die Spitze vierkantig abgeflacht. Da das Schwert weder eine Schneide hat noch sich nach oben hin verjüngt, sieht es eher wie eine spiegelglatte Stahlstange aus. Allerdings hat diese Stange einen Säbelkorb und einen grauen, aufgerauten Griff, sodass das Design eher funktional als dekorativ wirkt.
    Irgendetwas nagt an mir, eine hartnäckige Erinnerung, die dem Phantomschmerz an einem amputierten Glied ähnelt. Ich bin mir sicher, dass ich ein solches Schwert schon früher gesehen habe. In der äußeren Oberfläche des Säbelkorbs sind schwache rechteckige Furchen zu erkennen, als wäre etwas daraus entfernt worden. Und der flache »Rand« der Klinge wirkt ebenfalls seltsam: Er glänzt wie feiner Stahl, schimmert aber auch schwach in Regenbogenfarben - eine Diffraktion bunter Flecken am Rande meines Blickfelds.
    Mir bricht kalter Schweiß aus. Als ich mich aufrichte und hastig auf die kleine Tür zugehe, die ich auf dieser Seite der Orgelbank entdeckt habe, presst sich meine Bluse eiskalt gegen meine kühle Haut. Ich will hier drinnen nicht erwischt werden, schon gar nicht jetzt! Jemand erlaubt sich einen kleinen Scherz mit uns, und mir ist speiübel bei dem Gedanken, dass es Fiore sein könnte oder sein Chef Yourdon, der Bischof. Sie spielen mit uns, und das hier ist der Beweis. Doch wem kann ich davon erzählen? Die meisten Leute hier würden es nicht verstehen, und diejenigen, die es könnten … Für uns gibt es keinen Weg hinaus, es sei denn, die Versuchsleiter lassen sich darauf ein, uns vorzeitig zu entlassen. Aber dieser Ausgang führt direkt zurück in die Klinik der Beichtväter und Chirurgen, und ich habe bis in die Knochen den entsetzlichen Verdacht, dass sie an dieser Sache beteiligt sind. Bestimmt sind sie eingeweiht.
    Ich muss hier raus, wird mir bestürzt klar. Denn ich habe

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