Glashaus
höre ich die Eingangstür zuschnappen und Schritte in der Diele - was mehr ist, als ich verkraften kann.
Sam findet mich schluchzend in der Küche, wo ich gerade nach einer Kehrrichtschaufel suche.
»Was ist passiert?« Mit verwirrter Miene bleibt er in der Tür stehen und sieht mich an.
»Ich bin, ich …« Ich schaffe es, die Pizzaschachtel in den Müll zu verfrachten, und lege den Handfeger oben drauf. »Nichts.«
»Es kann nicht nichts sein«, entgegnet er mit zwingender Logik.
»Ich will nicht darüber reden.« Ich muss schnauben und trockne mir die Augen verlegen an der Rückseite meines Ärmels ab. Dass ich eine derartige Schwäche offenbare, ist mir selbst peinlich und zuwider. »Es ist nicht wichtig …«
»Komm schon.« Er legt mir tröstend den Arm um die Schultern. »Komm schon, raus hier.«
»Okay.«
Er führt mich von der Küche ins Wohnzimmer, zu den großen Glasfenstern. Ich sehe zu, wie er eines davon aufmacht, begreife jedoch nicht recht, was er vorhat. Das Fenster reicht vom Boden bis zur Decke und ist eine richtige Tür, die in den Hintergarten führt. »Komm schon«, sagt er und spaziert auf den Rasen hinaus.
Ich folge ihm nach draußen. Das Gras schießt allmählich in die Höhe. Was willst du von mir?, frage ich mich.
»Setz dich.« Ich kneife die Augen zusammen und mustere die Bank.
»Oh, okay.« Ich schnäuze mich noch einmal.
»Warte hier.« Er verschwindet wieder im Haus und lässt mich mit einem dummen, lähmenden Gefühl von Unzulänglichkeit zurück. Ich starre auf das feuchte Gras. (Planmäßig hat es um die Mittagszeit Niederschlag gegeben. Die unzähligen winzigen, am künstlichen Himmel installierten Düsen haben für sanften Sprühregen gesorgt.) Nahe an meinem Fuß kriecht eine Schnecke mühsam einen Halm hinauf. Nicht weit davon entfernt ist eine weitere Schnecke unterwegs. Weichtiere, die ihre Welt mit sich herumschleppen und unabhängig sind, haben’s hier gut. Plötzlich spüre ich einen Anflug von Neid. Hier sitze ich, gefangen im größten Schneckenhaus, das man sich überhaupt vorstellen kann, in einem gläsernen Schneckenhaus, das alles, was wir tun, den Monitoren und Sonden der Versuchsleiter enthüllt. Und in meiner kühnen Selbstüberschätzung habe ich geglaubt, tatsächlich aus meinem Schneckenhaus herauskriechen und mich in meine eigene Identität flüchten zu können …
Sam streckt mir etwas hin. »Hier, trink das.« Ich nehme das blaue Trinkglas entgegen, in dem unten, am schweren Boden, Luftblasen eingeschlossen sind. Es ist halb mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt, die nach etwas Bitterem und Zitrone riecht, wie ich schnuppern kann.
»Trink ruhig, es wird dich nicht vergiften.« Ich hebe mein Glas und probiere einen Schluck. Ein Gin Tonic , verrät mir irgendein tief in mir verborgener Schatten der Erinnerung. »Danke.« Wieder muss ich schnauben. Auch er füllt sein Glas. »Tut mir leid.«
»Was denn?«, fragt er und setzt sich neben mich. Inzwischen hat er sein Jackett und die Krawatte abgelegt und bewegt sich so, als wäre er erschöpft und hätte meine Lasten auf seine Schultern geladen.
»Ich bin eine Niete.« Ich zucke die Achseln. »Es ist mir einfach zu viel geworden.«
»Du bist keine Niete.«
Während ich ihn scharf ansehe, muss ich wieder schnauben. Ich wünschte, jemand würde mir die Nebenhöhlen stopfen. »Doch, das bin ich. Ich bin völlig abhängig von dir. Was würde ich tun, wenn du keine Arbeit hättest? Ich bin klein und schwach und schlecht koordiniert und kann nicht mal eine Pizza zum Abendessen aufwärmen, ohne den Fußboden zu versauen. Außerdem …«
Sam trinkt noch einen Schluck. »Schau mal.« Er deutet auf den Garten. »Du hast wenigstens das hier. Den ganzen Tag lang.« Er schüttelt den Kopf. »Und ich muss in einem Büro voller Zombies sitzen und meine Zeit mit dem Korrekturlesen von lauter Geschwafel verbringen. Und ständig gibt’s weitere Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Texte, die ich auf Fehler durchsehen muss. Ich bekomme Kopfweh davon. Du hast wenigstens das hier.« Er sieht mich mit einem derart vorsichtigen, seltsamen Blick an, dass ich mich frage, was er da sieht. »Und das, was du in der Garage treibst, was es auch sein mag.«
»Ich …«
»Ich will dir nicht nachspionieren«, erklärt er und weicht meinem Blick aus.
»Ist ja kein Geheimnis.« Ich nehme noch einen Schluck Gin Tonic. »Ich stelle gewisse Dinge her.« Fast hätte ich hinzugefügt: Ist nur ein Hobby, doch das wäre eine
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