Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
Vom Netzwerk:
Moment lang wirken seine Augen gläsern. Wahrscheinlich überprüft er seinen Punktestand. Gleich darauf nickt er. »Du hast doch keine Strafpunkte abgezogen bekommen, oder?«
    »Nein, aber ich fürchte, dass ich …« Ich kann es einfach nicht aussprechen und schüttle nur den Kopf.
    »Man wird dich vorführen«, sagt er langsam und ruhig.
    »Genau.« Ich nicke. »Ich hab einfach so’n Gefühl.«
    »Dann lass sie doch.« Er sieht wütend aus, und einen Moment lang bin ich erschrocken, bis mir klar wird, dass es diesmal wundersamerweise nicht an mir liegt. Ihn regt der Gedanke auf, dass Fiore in der Kirche vielleicht auf mir rumhacken und die versammelte Gemeinde möglicherweise mitmachen wird. Er ist wirklich aufgebracht . »Dann gehen wir einfach raus.«
    »Nein, Sam.« Das Wasser kocht. Nach einem Blick auf die Uhr schalte ich den Toaster ein. Gekochte Eier und Toast, so weit reichen meine Kochkünste inzwischen. »Wenn du das tust, machst du dich ebenfalls zur Zielscheibe. Und wenn sie uns beide auf dem Kieker haben …«
    »Ist mir egal.« Er blickt mir gelassen in die Augen, ohne eine Spur jener Distanz, die er im letzten Monat ständig an den Tag gelegt hat. »Ich habe eine Entscheidung getroffen. Ich werde nicht einfach zusehen, wie sie uns fertigmachen, einen nach dem anderen. Wir haben beide Fehler gemacht, aber du bist diejenige, die hier drinnen am meisten gefährdet ist. Ich bin nicht fair zu dir gewesen und …« Er stockt einen Moment. »Und ich wünschte, die Sache wäre anders gelaufen.« Er blickt auf seine Schüssel und murmelt etwas, das ich nicht richtig verstehen kann.
    »Sam?« Ich setze mich. »Sam, du kannst es nicht allein mit dem ganzen Gemeinwesen aufnehmen.« Er wirkt traurig. Traurig? Wieso?
    »Ich weiß.« Er sieht mich an. »Aber ich fühle mich so ohnmächtig.«
    Traurig und wütend. Ich stehe auf, gehe zum Herd hinüber und stelle die Kochplatte ab. Die Eier wirbeln auf dem Topfboden herum, und die Zeituhr des Toasters tickt. »Das hätten wir bedenken sollen, ehe wir uns darauf eingelassen haben, uns in dieses Gefängnis sperren zu lassen«, sage ich und würde am liebsten brüllen. In Anbetracht der besonders gründlichen Löschung meines Langzeitgedächtnisses (insgeheim vermute ich, dass der Eingriff viel weiter ging, als mein früheres Ich, das mir den Brief schrieb und ihn später vergaß, je erwartet hätte) wundert es mich halbwegs, dass ich überhaupt hier gelandet bin. Hätte ich seinerzeit gewusst, dass Kay ihre Teilnahme an diesem Projekt noch keineswegs beschlossen hatte und später einen Rückzieher machen würde, wäre ich höchstwahrscheinlich bei ihr geblieben und hätte das schöne Leben fortgesetzt - unabhängig davon, ob tatsächlich Attentäter hinter mir her waren oder nur in meiner Einbildung existierten.
    »Gefängnis.« Er lacht bitter auf. »Das trifft es recht gut. Gäb’s doch nur irgendeine Fluchtmöglichkeit.«
    »Frag doch beim Bischof nach. Vielleicht lässt er dich vorzeitig wegen schlechten Benehmens raus.« Ich hole den Toast, bestreiche ihn mit Butter, fische beide Eier aus dem Wasser und lege sie auf meinen Teller. »Ein frommer Wunsch.«
    »Wie wär’s, wenn wir heute zu Fuß zur Kirche gehen?«, schlägt Sam zögernd vor, während ich zu Ende frühstücke. »Es sind ungefähr zwei Kilometer. Klingt weit, aber …«
    »Klingt wie eine gute Idee«, erwidere ich, ehe er sich’s anders überlegen kann. »Ich ziehe die Schuhe an, die ich zur Arbeit trage.«
    »Gut, dann treffen wir uns in zehn Minuten hier unten.« Als er die Küche verlässt, streift er mich flüchtig. Ich zucke zusammen, aber er hat es anscheinend gar nicht bemerkt. Irgendetwas geht ihm im Kopf herum. Und ihn nicht offen danach fragen zu können, empfinde ich als frustrierend.
    Es ist ein angenehmer Morgenspaziergang, die zwei Kilometer zu laufen. Sam lässt sogar zu, dass ich seine Hand halte, während wir die stillen Straßen entlangschlendern, unter Bäumen, die plötzlich grüne und blauschwarze Blätter ausgetrieben haben. Wir müssen drei Tunnel zwischen den Zonen durchqueren, um in das Viertel rund um die Kirche zu gelangen. Das Blickfeld reicht nie weiter als einen halben Kilometer, vielleicht deshalb, weil sonst offensichtlich wäre, dass unsere Landschaften nichts anderes sind als innere Fragmente von Kegelschnitten. Und dass sie nicht aufgrund natürlicher Schwerkraft an der Außenfläche eines Himmelskörpers haften. Wir begegnen kaum einem Menschen, denn die

Weitere Kostenlose Bücher