Glashaus
Unentschlossene und moralisch Ungefestigte verschwenden und schwebt bereits auf die Gruppe am Kircheneingang zu, während sie etwas von den Werten der Gemeinschaft brüllt.
Wir schaffen es bis zum Rand des Parkplatzes, wo ich erneut stolpere und mich an Sams Arm klammere. »Wir müssen sie daran hindern«, höre ich mich sagen. Ich frage mich, was diese Kröte, Fiore, sich dabei gedacht hat, als er so viele Punkte von einer Schar auf die andere übertrug. Was hat er da losgetreten? Wenn man so etwas mit Leuten macht, die sich für Punkte prostituieren würden, kann das nur Eines zur Folge haben. Das Mindeste ist dabei, dass die Schar Drei Phil und Esther den Arsch aufreißen wird. Aber jetzt ist auch noch Jen auf den Plan getreten. Jen, die das Ganze so hindrehen will, als handele es sich um eine soziale Säuberung, damit sie sich an die Spitze eines Mobs stellen kann. Ich kann buchstäblich dabei zusehen, wie hier eine widerliche neue Wirklichkeit Gestalt gewinnt - eine Realität, mit der ich nichts zu tun haben will.
»Das wäre nicht vernünftig.« Sam schüttelt den Kopf, wird aber langsamer.
»Es ist mein Ernst!« Ich schlucke, denn meine Kehle ist wie ausgedörrt. »Die werden Phil und Esther verprügeln …«
»Nein, über diesen Punkt sind die schon hinaus.« Sams Stimme schwankt bedenklich.
Ich ramme meine Fersen in den Boden und bleibe stehen, genau wie Sam, der gar nicht anders kann, denn sonst würde er mich umrempeln. Er atmet schwer. »Wir müssen irgendwas unternehmen«, dränge ich.
»Was, zum Beispiel?« Er holt tief Luft. »Das sind mindestens zwanzig Leute. Die Schar Drei und die Idioten, die irgendwie glauben, sie könnten ihre Tugend zur Schau stellen, indem sie mitmachen. Wir haben keine Chance.« Er blickt über die Schulter, scheint plötzlich zu zittern, zieht mich an sich und will weitergehen. »Bleib nicht stehen und sieh dich nicht um!«, zischt er. Selbstverständlich bleibe ich sofort wie angewurzelt stehen und drehe mich um, weil ich sehen will, was die Leute in unserem Rücken anstellen.
Das ist wirklich die letzte Scheiße. Als ich erkenne, was da vor sich geht, wird mir so weich in den Knien, dass Sam mir unter die Arme greift. Es sind keine Schreie mehr zu hören, aber das heißt nicht, dass dort nichts mehr passiert. Das Schreien setzt sich insgeheim fort, in meinem eigenen Schädel. »Die haben das geplant «, höre ich mich sagen. Es klingt so, als käme es vom Ende eines sehr dunklen Tunnels. »Sie haben’s vorbereitet. Das ist keine spontane Sache.«
»Stimmt.« Sam nickt mit aschfahlem Gesicht. So verrückt es auch scheinen mag, es gibt keine andere Erklärung dafür. »Offenbar war das Ritual, Menschen zu opfern, in vortechnologischen Gesellschaften ein starkes kulturelles Bindemittel«, murmelt er. »Ich frage mich nur, wie lange Fiore schon vorhatte, es bei uns einzuführen.«
Sie haben zwei Seile über die Äste der Pappeln neben der Kirche geworfen, und zwei Gruppen sind damit beschäftigt, die daran befestigten, sich windenden Lasten ins Laubwerk hinaufzubefördern. Ich kneife die Augen zusammen: Die Seile scheinen einen leichten Bogen zu beschreiben, was an der zentripetalen Beschleunigung liegen mag. Allerdings glaube ich eher, dass die Tränen in meinen Augen meinen Blick verzerren.
»Mir egal. Hätte ich eine Waffe, würde ich Jen auf der Stelle erschießen, das würde ich wirklich tun.« Plötzlich merke ich, dass ich mich nicht aus Angst oder aus Traurigkeit so wackelig auf den Beinen fühle, sondern aus Wut. »Man muss die Hexe umbringen.«
»Würde nicht funktionieren«, sagt er fast gedankenverloren. »Weitere Gewalt würde das Töten nur zum Normalfall machen, ihm aber kein Ende setzen. Die veranstalten eine Party , und du würdest zum Spaß nur noch beitragen …«
»Tja, ich … Aber ich würde mich besser fühlen.« Jen tut gut daran, Gitter an ihren Fenstern anbringen zu lassen und heute Nacht mit einem Baseballschläger unter ihrem Kopfkissen zu schlafen, sonst gerät sie in Schwierigkeiten. Und das hat diese verlogene Schlampe mehr als verdient.
»Ich auch, glaube ich.«
»Können wir denn gar nichts tun?«
»Für die beiden?« Er zuckt die Achseln. Das Schreien hat aufgehört, aber ein Chor ohne jedes musikalische Gehör hat jetzt eine Art Choral angestimmt. »Nein.«
Mir läuft ein Schauer über den Rücken. »Lass uns nach Hause gehen. Sofort.«
»Okay«, erwidert er, und wir gehen zusammen weiter. Der Gesang folgt uns die Straße
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