Glasklar
wieder selbstbewusst. »Warum soll mir sonst dieser Informant hier all dieses Material anonym überlassen haben und mich bitten, es an die Öffentlichkeit zu bringen?«
»Vielleicht steckt er auch mit drin«, warf der Kollege rechts von ihm ein.
Kauz runzelte die Stirn, holte tief Luft und sah wieder zur Uhr. »Also, wenn ihr mich fragt«, sagte er ungeduldig, »wir übergeben das Zeug der Kriminalpolizei und machen den Deal, dass wir als Erste darüber berichten dürfen, wenn die ganze Sache auffliegt. Egal, wie und was. Aber im Moment halte ich es für das Richtige, mit offenen Karten zu spielen.«
Sander hatte dies vermutet, und eigentlich war es ihm auch recht.
»Sie können ja mit Ihrem Häberle«, versuchte Kauz, den ziemlich still gewordenen Sander aufzumuntern, »zunächst mal darüber reden und ihm Ihre und unsere Situation schildern.«
Rahn blinzelte seinem Kollegen Kauz zu: »Hast du jetzt Angst, dass es uns so geht, wie 1962 dem ›Spiegel‹?«
Sander wusste, worauf er anspielte: Damals hatte die Polizei die Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins ›Der Spiegel‹ durchsucht und besetzt, weil dem Herausgeber Rudolf Augstein und dem Journalisten Conrad Ahlers im Zusammenhang mit einem Artikel über das Verteidigungskonzept der Bundeswehr Verrat von Staatsgeheimnissen vorgeworfen worden war. Die beiden waren damals sogar inhaftiert worden, was von den Medien und von der damaligen Studentenbewegung scharf kritisiert worden war. Der Bundesgerichtshof freilich hatte für die insbesondere von Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß erhobenen Vorwürfe keine Beweise gefunden und die ›Spiegel-Affäre‹ ohne Hauptverfahren beendet.
46.
Häberle hatte eine verwirrte Manuela Maller zurückgelassen. Eigentlich war es nicht seine Art, die Chefin über seine Eindrücke im Unklaren zu lassen. Doch diesmal hielt er es für angebracht. Als er wieder bei der Sonderkommission im Lehrsaal eintraf, wo er die Luft noch schwüler und heißer fühlte als vor einer Dreiviertelstunde, winkte ihn Speckinger zu sich her. »Wir haben Interessantes über unseren Freund Lechner herausgefunden.«
Häberle zog sich einen freien Stuhl an den Schreibtisch und setzte sich.
»Ein pensionierter Kollege aus Aalen hat angerufen«, kam Speckinger zur Sache. »Er glaubt sich zu entsinnen, dass Lechner nach seinem unrühmlichen Ausscheiden aus der Polizei irgendwie abgetaucht ist. Gerüchteweise habe es geheißen, er habe sich nach dem Tod seines Bruders Flippi sogar der Terrorszene zugewandt. Dort sei er unter dem Spitznamen ›die Ratte‹ ein Begriff gewesen.«
»Ach«, staunte Häberle. »Und wenn es der pensionierte Kollege weiß, dann müsste es doch auch Akten darüber geben – oder sehe ich das falsch?« Er deutete ein spitzbübisches Lächeln an.
»Dazu darfst du von mir keine Antwort erwarten.«
»Deshalb hat er sich nach Österreich abgesetzt«, stellte der Chefermittler fest. »Er hat doch von irgendeiner Almhütte erzählt.«
»Richtig, bei Schattwald, im Tannheimer Tal.«
»Seltsam …«, murmelte Häberle. »Schattwald. Weshalb gerade Schattwald?«
Speckinger hob die Schultern. »Warum nicht Schattwald?«
»Kannst du nicht wissen«, schmunzelte Häberle. »Dort steht die Hütte der Geislinger Sektion des Deutschen Alpenvereins.«
»Du meinst … hier Albverein, dort Alpenverein?«, gab sich Speckinger verständnislos. »Mord in der Wanderer-Szene?« Er grinste.
»Nein, war nur so eine Idee«, wiegelte Häberle ab, um wieder aufs Thema zurückzukommen: »Und was lässt sich sonst über Lechner sagen?«
»Wovon er lebt, scheint tatsächlich rätselhaft zu sein. Vielleicht sollten wir es mal über die Kollegen im Tannheimer Tal versuchen – vermutlich ist Reutte in Tirol zuständig.« Speckinger grinste noch immer. »Oder fährst du hin?«
Häberle schüttelte den Kopf. »Ruf an!«, entschied er. »Mich würde auch interessieren, wie oft sich Lechner in unserer Gegend herumgetrieben hat. Zu den Höhlensportlern hat er wohl rege Kontakte gepflegt.«
»Sieht so aus. Demnach dürfte er sich zumindest häufig im Raum Geislingen aufgehalten haben. Diese Höhle … Laierhöhle, glaub ich, heißt sie …, die muss es ihm ganz besonders angetan haben.«
Häberle sah auf die Armbanduhr. »Die Kollegen, die wir zum Wasserberg raufgeschickt haben, haben die sich schon gemeldet?«
Speckinger verneinte. »Bisher nicht. Ich lass sie mal rufen.« Er stand auf und verließ den Raum. Häberle erhob sich ebenfalls
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