Glasklar
unbeirrt weiter:
»›Heidenreich spürte tagsüber den Steuersündern nach und mischte in der Freizeit – oder wenn er vom Staat dafür freigestellt wurde – aktiv in der Terrorszene mit. Das heißt, er spielte den staatlich legitimierten Terroristen, um angeblich Informationen zu sammeln. Die Frage ist aber, wie weit er aktiv in das Geschehen eingriff – wo die Ermittlungen aufhörten und die Mittäterschaft anfing.‹«
Rahn nickte. Ihm gingen die staatlichen Eingriffe in die Privatsphäre ohnehin zu weit.
»›Werner Heidenreich hat ein halbes Leben lang ein Doppelleben geführt. Er hat den großen Umwelt- und Naturschützer gespielt, in Wirklichkeit aber nur die Stimmung gegen das Eisenbahnprojekt angeheizt, um sich in Kreise einzuschleichen, die ganz andere Ideale vertreten. Jetzt, da er tot ist und auch ich endgültig weiß, dass er ein Schwein war, ist mir daran gelegen, dass die Intrigen und Schnüffeleien ans Tageslicht kommen. Ich wünsche keinen Skandal, sondern eine saubere Aufarbeitung dessen, was in den vergangenen 30 Jahren geschehen ist.‹«
Sander legte das Blatt zur Seite.
Nach ein paar Sekunden des Schweigens fragte Kauz sachlich: »Liefert er denn auch Beweise für das, was er behauptet?«
»Ja, Moment«, erwiderte Sander, den die fortdauernde Zurückhaltung seiner Kollegen ziemlich verunsichert. Er griff nach dem Schnellhefter, befeuchtete sich Zeigefinger und Daumen und blätterte schnell weiter. »Das Ganze sind übrigens nur Fotokopien«, sagte er beiläufig. »Irgendwo hat Lechner geschrieben, dass die ganzen Originale und noch viel mehr Dokumente an einem sicheren Ort aufbewahrt seien, den niemand außer ihm kenne.«
»Das haben schon viele behauptet«, warf Rahn ein.
»Hier«, fuhr Sander fort, »da hat er selbst Tagebuch geführt:
›31. März dieses Jahres – Anruf von Werner Heidenreich. Er ist angeblich auf der Suche nach einem Höhlenforscher, der ihn im Kampf gegen den Bau eines Eisenbahntunnels unterstützen soll. Weil er noch aus früheren Zeiten weiß, dass ich hobbymäßig Höhlentaucher bin, bittet er mich um Hilfe. Ich bin über seinen Anruf überrascht. Ich frage ihn, woher er meine Telefonnummer kenne, da ich doch seit vielen Jahren schon woanders wohne. Klammer auf, Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen gegenüber jetzt nicht darlegen möchte, wo, Klammer zu. Er hat gesagt, ich müsste doch wissen, dass man als ehemaliger Polizist viele Möglichkeiten hat.‹«
Rahn sah sich wieder zu einem Zwischenruf bemüßigt: »Als Journalist auch.«
Kauz zog eine nachdenkliche Miene. Sander ließ sich nicht davon abhalten, sofort weiterzulesen:
»›Wir haben uns auch über alte Zeiten unterhalten, und obwohl ich sehr skeptisch war, habe ich aus reiner Neugier zugesagt, dass wir uns treffen. Dies ist fünf Tage später an einem Autobahn-Rasthaus geschehen: Es war ein eigenartiges Gefühl, sich nach so vielen Jahren wiederzusehen. Werner kam gleich zur Sache. Er hat behauptet, er brauche dringend einen Sachverständigen, der sich mit der Geologie der Schwäbischen Alb auskennt. Warum mich das stutzig gemacht hat, möchte ich Ihnen an dieser Stelle nicht sagen. Jedenfalls bin ich zum Schein auf sein Ansinnen eingegangen. Wir haben uns für den 19. April verabredet.‹«
Kauz kratzte sich im dicht gelockten Haar und stützte sich mit den Unterarmen auf der Schreibtischplatte ab. »Ihr Unbekannter spricht in ziemlichen Rätseln.« Er sah nervös auf die Armbanduhr, was Sander leicht verstimmt zur Kenntnis nahm. Er hatte hier Akten, die eine Sensation versprachen, und nun war es offenbar wichtiger, das Vereinsforum auf Seite zwei fertigzustellen. »Wir können gerne morgen weiterreden«, sagte er deshalb, »allerdings müssen wir dann in Kauf nehmen, dass Kopien von diesem Material auch bei anderen Redaktionen landen.«
»Bei ›Bild‹?«, entfuhr es Rahn, und er betonte es so, als ob er dies überhaupt nicht für möglich hielt. »Ich glaub kaum, dass die sich für so einen Provinzmord interessieren. Dafür fehlt der Sex.«
Kauz ließ sich zu keiner Bemerkung hinreißen. Wenn Sander jetzt wieder mit irgendwelchen Verschwörungstheorien daherkam, dann würde er schon sagen, was er davon hielt. Er befeuchtete die Lippen und verordnete sich wohl selbst Geduld. »Machen Sie weiter«, forderte er Sander auf.
»Also kurzum«, versuchte der Angesprochene zusammenzufassen, »es sieht ganz danach aus, als ob Heidenreich nur vordergründig bei der
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