Glasklar
die Realität zurückgerissen worden war.
»Auftrag von Ihrer Dienststelle«, wurde der Ältere jetzt amtlich. »Man hat sich Sorgen um Sie gemacht. Sie sind weder hier auf dem Festnetz noch auf Ihrem Handy zu erreichen.«
Linkohr kam einen Schritt näher zur Tür. »Ja, und? Ich hab weder Rufbereitschaft noch Sonntagsdienst …«
»Tut mir leid«, erwiderte der Uniformierte mit den drei silbernen Sternen im Dienstgradabzeichen, »aber Sie sollen sich dringend mit Herrn Hauptkommissar Häberle in Verbindung setzen.« Der Beamte wollte sich gerade abwenden, um mit seinem Kollegen den Eingangsbereich zu verlassen, da fiel ihm noch ein: »Aber sonst sind Sie wohlauf, Herr Linkohr?«
Der junge Kriminalist war für den Bruchteil einer Sekunde irritiert. »Ja, ja, selbstverständlich. Sollte ich etwa nicht wohlauf sein?«
»Doch, doch«, beeilte sich der Ältere zu sagen und zwinkerte der rassigen Schönen zu, »es hätte ja sein können, Sie brauchen Hilfe.«
Linkohr wusste noch immer nicht so recht, ob diese Frage ernst gemeint war oder ob man ihn auf den Arm nehmen wollte. »Danke, nicht nötig«, stammelte er verlegen, um dann selbstbewusster hinzuzufügen: »Manche Dinge macht man lieber selbst.«
Die Uniformierten gingen wortlos zu ihrem Streifenwagen zurück, während Linkohr die Haustür zuzog und seine neue Flamme umarmte. »Du weißt, was ich in solchen Fällen immer sag?«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange und antwortete gekünstelt: »Da haut’s dir ’s Blech weg.«
Linkohr führte die Frau ins Obergeschoss, das sie seit gestern nicht mehr verlassen hatten. Doch nun musste er Häberle anrufen. Wahrscheinlich war irgendwo der Teufel los. Während er sein Handy wieder zum Leben erweckte, fiel sein Blick auf die Zeitanzeige. Wo war eigentlich Mariellas Bruder mit dem Auto?
Der Fossiliensammler aus dem Tannheimer Tal und der junge Mann, der in Linkohrs Auto gepennt hatte, waren von Streifenwagen zum Wasserberghaus gebracht worden, wo im Nebengebäude Häberle und Watzlaff die neuesten Erkenntnisse sondierten und bewerteten. Watzlaff hatte zwar weder Sonntagsdienst, noch war er für kriminalpolizeiliche Aufgaben zuständig, doch wollte er dem Chefermittler aus alter Freundschaft und Sympathie zur Seite stehen. Während der geologisch Interessierte aus Österreich von Kollegen nebenan vernommen wurde, ließ Häberle den jungen Mann aus Linkohrs Auto hereinbringen. Er wirkte verschüchtert, klagte über einen Brummschädel und hatte ein aschfahles Gesicht.
»Damit wir uns gleich richtig verstehen«, begann Watzlaff, während sich der Mann mit einem tiefen Seufzer am Tisch niederließ, »dass Sie hier im Naturschutzgebiet mit dem Auto rumgegondelt sind, egal in welchem Zustand heut Nacht auch immer, ist uns egal. Hier geht es um mehr als um eine Ordnungswidrigkeit oder eine Trunkenheitsfahrt – aber das hat man Ihnen sicher schon gesagt.«
Er nickte. »Es tut mir leid – es tut mir so wahnsinnig leid«, sagte er mit leiser Stimme, als sich die beiden Polizeibeamten zu ihm setzten. »Ich wollte den Mike nicht in Schwierigkeiten bringen.«
»Das glauben wir Ihnen gerne«, beruhigte ihn Häberle, der ihm ein Glas Mineralwasser einschenkte. »Also – erzählen Sie uns mal, wie es zu dieser merkwürdigen Übernachtung in Wald und Flur gekommen ist.«
Der junge Mann, der laut Pass Gunnar Koch hieß und unweit des Stuttgarter Flughafens beheimatet war, nahm einen Schluck Wasser und kratzte sich in den Stoppelhaaren. Dann kramte er umständlich aus dem Brusttäschchen seines erdfarbenen Shirts eine Brille mit runden, randlosen Gläsern hervor, um sie vorsichtig aufzusetzen. »Es tut mir wirklich leid.« Seine glasigen Augen wanderten zwischen den beiden Beamten hin und her. »Mike, ich meine, Herr Linkohr hat mir seinen Wagen überlassen, weil meiner einen Getriebeschaden hat. Und weil ich ein paar Bekannte hab, hier in Deggingen und Bad Überkingen, hat er mir angeboten, seinen Wagen zu nehmen, um zu diesem Sommernachtsfest herzufahren.«
»So, das hat er«, stellte Watzlaff fest, ohne eine Miene zu verziehen. »Vermutlich, weil er mit Ihrer Schwester allein sein wollte.«
Gunnar Koch, den Watzlaff auf Mitte 25 schätzte, nickte verlegen.
»Und wann hätten Sie ihm den Twingo wieder zurückbringen sollen?«, fragte Häberle.
»Heut Nachmittag.« Er sah auf die Armbanduhr.
»Keine Sorge«, zeigte sich Watzlaff mitfühlend, »er weiß schon Bescheid.«
»Sie
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