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Glasklar

Glasklar

Titel: Glasklar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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haben ihn verständigen können?«
    »Wir haben eine Streife vorbeigeschickt«, klärte ihn Häberle auf.
    »Eine Streife?«, echote der junge Mann erschrocken. »Ahnen Sie denn, was das für ein Aufsehen gibt?«
    »Es wird bald noch mehr Aufsehen geben, wenn Sie uns nicht ausführlich erzählen, wie Sie mit seinem Auto ins Gebüsch gekommen sind«, machte Watzlaff deutlich und trank ein ganzes Glas Mineralwasser leer. Eigentlich lechzte er nach einem Weizenbier, aber das konnte er seinem Freund August Häberle nicht antun, der offiziell im Dienst war.
    »Entschuldigen Sie«, gab sich Koch verängstigt, »aber ich hab keinen Grund, Ihnen etwas zu verheimlichen.«
    »Dann sind wir gespannt«, konterte Watzlaff.
    »Als ich gestern Abend gekommen bin, hab ich doch keine Ahnung gehabt, was da drüben auf diesem Hexensattel los ist«, begann Koch. »Da kriegen Sie keinen Parkplatz. Deshalb bin ich den gesperrten Weg hochgefahren – aber ich war nicht der Einzige, der dies getan hat. Ich schwöre es. Ein ganzes Stück weiter oben hab ich das Auto schließlich abgestellt.«
    »Und dann haben Sie sich unters Partyvolk gemischt?«, kleidete Häberle seine Frage in eine Formulierung, die der heutigen Jugendsprache entsprang. Längst hatte er gelernt, dass die jungen Leute abends nicht einfach in die Disco oder zu einer Veranstaltung gingen – nein, das waren inzwischen allerorts Partys. Genauso, wie es keinen simplen Veranstaltungsort mehr gab, sondern eine Location. Häberle konnte sich über diesen ›Englischwahn‹, wie er es oftmals auszudrücken pflegte, köstlich amüsieren, ihn aber auch heftig kritisieren. Als er kürzlich mit Susanne, seiner Ehefrau, durch Ulm geschlendert war, wo sie ihn zu einem Einkaufsbummel genötigt hatte, wollte ihm nicht einleuchten, warum an jedem zweiten Schaufenster ›Sale-Sale-Sale‹ stand. Dass dies Englisch war und nichts weiter als ›Verkaufen‹ hieß, hatte er schnell begriffen. Nur glaubte wohl das verdummte Einkaufsvolk, ›Sale‹ bedeute ›Schnäppchen‹ oder gar ›Schlussverkauf‹. Man brauchte also nur etwas auf Englisch auszudrücken – und schon hatte es eine besondere Note. Wie einfältig musste ein Volk geworden sein, das sich seine Identität derart rauben ließ? Da konnte Häberle auch das Allerweltsargument nicht überzeugen, bei den Computern sei schließlich auch alles Englisch. Natürlich musste es auf gewissen Sektoren eine globale Verständigung geben, die jeder begriff – aber deshalb brauchte man doch nicht gleich seine ganze Identität, die regionalen Besonderheiten, allem zu opfern. Häberle hatte längst erkannt, dass er einen einsamen Kampf führte. Er brauchte ja nur mit offenen Augen durch die Städte zu gehen. Aus dem eingedeutschten Friseur war ein Coiffeur oder Stylist geworden, aus jeder Klitsche ein Shop und aus der Autowaschanlage ein Car-Wash. Die Krönung war für ihn ein Back-Shop. Schon aufs Englische getrimmt, hatte er ›Back‹ wie ›bäck‹, also übersetzt ›zurück‹, ausgesprochen, um erst später zu erkennen, dass hier tatsächlich ein deutsches Wort zugrunde lag. Back-Shop für Bäckerei.
    Kochs Nicken, wonach er sich also unters Partyvolk gemischt habe, holte Häberles Gedanken wieder in die Realität zurück.
    »Tausende sollen da gewesen sein«, ergänzte Watzlaff, der sich die Situation von den diensthabenden Beamten seines Reviers hatte schildern lassen. »Diesmal allerdings ohne Prügelei.«
    »Aber feuchtfröhlich war es«, konstatierte Häberle, um die Schilderungen des jungen Mannes voranzubringen. Viel Zeit hatte er nicht mehr. Seine Chefin Maller und der Leitende Oberstaatsanwalt legten Wert darauf, dass er nachher bei der Pressekonferenz in Göppingen dabei war.
    »Ich hab gesoffen, ja«, gab sich Koch grundehrlich. Allein schon seine Gesichtsfarbe ließ jetzt, vermutlich fast zwölf Stunden nach seinem letzten Schluck Alkohol, auf die chemischen Reaktionen in seinem Magen und Gedärm sowie auf das wilde Hüpfen seiner Gehirnzellen schließen.
    »Um ehrlich zu sein, ich hab keine Ahnung, was später passiert ist«, sagte er. »Ich habe mich wohl ins Auto gesetzt, bin den Weg weitergefahren und dann irgendwo links auf die Heidelandschaft abgebogen. Das ist die Wahrheit. Ich schwöre es. Als mich vorhin Ihre Kollegen geweckt haben, bin ich zu Tode erschrocken. Ehrlich.« Er sah von einem zum anderen, doch die Gesichter der beiden Polizeibeamten verrieten nur den Ernst der Lage. »Das Auto … Mikes Auto … ist

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