Glasklar
schließlich an das glauben, was du verkaufst.«
26.
Für die Beamten der Sonderkommission war es eine lange und schwüle Nacht gewesen. Die meisten von ihnen fanden sich an diesem Montagvormittag trotzdem wieder zeitig im Lehrsaal der Göppinger Direktion ein. Dass der Großeinsatz zu keinem Ergebnis geführt hatte, empfanden sie als frustrierend. Doch die Nachricht, wen eine Geislinger Polizeistreife in einem Taxi angetroffen hatte, schlug ein wie eine Bombe und verdrängte die Gespräche über das gestrige Fußballspiel, mit dem für die Italiener die Europameisterschaft beendet war.
»Unglaublich!«, entfuhr es einem älteren Beamten, doch er bezog dies nicht auf Fußball, sondern auf den Namen jenes Mannes aus dem Taxi: »Und der erzählt uns die Story vom Pferd?«
August Häberle zuckte die Schultern. »Was sollen wir machen? Er beruft sich auf sein Recht, uns nichts sagen zu müssen.«
»Ein unverschämter Kerl!«, schallte es verärgert aus der Mitte der Kollegen.
»Nun mal sachte«, versuchte Häberle, die Wogen zu glätten. »Der Sander hat uns bisher keinerlei Kummer bereitet. Jetzt wittert er halt eine Sensationsgeschichte.«
»Sensationsgeschichte«, äffte ein junger Kollege ihn nach, »den Kerl knöpfen wir uns vor.«
»Das wird nicht viel nützen«, meinte der Chefermittler. »Ihr wisst genauso gut wie ich, dass dies ein sehr komplexes Thema ist. Und unter Umständen verbrennen wir uns gewaltig die Finger. Das sollten wir anderen überlassen.« Alle wussten, wen er damit meinte: den Leitenden Oberstaatsanwalt in Ulm, der penibel genau darauf achtete, dass die Dienstwege eingehalten wurden und jegliches Vorgehen mit ihm abgestimmt wurde – insbesondere, wenn es um den Umgang mit Journalisten ging.
»Und der weigert sich einfach zu sagen, was er um Mitternacht im Golfklub zu suchen gehabt hat?«, vergewisserte sich ein anderer.
»Ob er im Golfklub war, wissen wir übrigens auch nicht«, fügte Häberle an. »Er hat sich dort vom Taxi abholen lassen, was uns der Fahrer inzwischen bestätigt hat. Sander selbst erklärt, er habe einen Informanten getroffen, der ihm ein paar Schriftsätze habe übergeben wollen.«
»Und die hatte er dabei?«
»Ja, natürlich. Aber mit welchem Recht hätten wir sie beschlagnahmen sollen?«, gab sich Häberle gelassen. Ihm waren die Fallstricke der Rechtsordnung geläufig. Oft genug hatte er Täter wieder laufen lassen müssen, weil gesetzliche Bestimmungen keine andere Möglichkeit boten. Das war auch in den meisten Fällen gut so, musste er sich eingestehen. Schließlich lebte eine Demokratie von geordneten ›Spielregeln‹ – und welche Folgen es hatte, wenn sich die Staatsgewalt nicht daran halten musste, das konnte man in unzähligen Ländern sehen. Allerdings gab es auch Einschränkungen, die Häberle nicht nachzuvollziehen vermochte – wenn etwa wegen eines Drogengeschäfts eine Telefonüberwachung erfolgte und man bei den abgehörten Gesprächen beiläufig auch von anderen Straftaten erfuhr, dies aber nicht verwertet werden durfte, weil das Abhören rein juristisch nur auf den Rauschgift-Deal beschränkt war.
Keiner der Kollegen hatte etwas gesagt. Sie alle wussten, dass die Frage juristisch nicht einfach zu klären war, wann einem Journalisten Schriftstücke abgenommen werden durften. »Ich erinnere nur an Paragraf 53 der Strafprozessordnung«, gab Häberle zu bedenken.
»Aber wenn es um die Aufklärung eines Verbrechens geht …«, warf einer der Älteren ein.
»Das mag sein«, erwiderte der Chefermittler, »aber wenn die Unterlagen dazu führen, dass der Informant preisgegeben wäre, sieht das anders aus – und schon gar, wenn es sich um eigene Aufzeichnungen des Informanten handelt.«
Die Kriminalisten hielten sich mit weiteren Äußerungen zurück, denn sie hatten keinen Zweifel, dass sich Häberle in dieser Materie auskannte. Außerdem würde wohl der Oberstaatsanwalt, wenn es sein musste, sämtliche juristischen Register ziehen, um Sander zum Reden zu bringen. Notfalls gab es ja auch noch das Mittel einer Ordnungshaft, die bis zu sechs Wochen andauern konnte.
»Ich denke«, fuhr Häberle fort, »ein vernünftiges Gespräch mit Sander bringt mehr, als juristisches Geschütz aufzufahren.«
»Ich hab ihn immer so eingeschätzt, dass er mit uns zusammenarbeiten will. Was soll jetzt diese dusslige Geheimnistuerei?«
»Er will halt auch mal die ganz große Geschichte haben«, lächelte Häberle väterlich. »Im Übrigen werden wir bald
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