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Glasklar

Glasklar

Titel: Glasklar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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war ein Auftrag der Sonderkommission, den er an diesem Montagmorgen erledigen musste. Er sollte sich seines Schulfreundes Alfred Pettrich annehmen, der gegenüber Speckinger erklärt hatte, dass Heidenreich im Zusammenhang mit dem geplanten Eisenbahntunnel einen Höhlenforscher hinzugezogen habe. Hilscher parkte auf einer der freien Stellflächen vor Pettrichs Kiosk. Um diese Zeit – es war kurz vor neun – war in Geislingen noch so gut wie nichts los. Die wenigen Passanten, die durch die Sternplatz-Passage gingen, beäugten den Uniformierten kritisch. Dass er beim Verlassen des Autos seine Mütze nicht aufgesetzt hatte, konnte ihm als Verstoß gegen die offizielle Kleiderordnung ausgelegt werden, doch an diesem schwülen Vormittag war ihm das herzlich egal. Er betrat den winzigen Kiosk durch die offen stehende Tür und schreckte seinen Schulfreund auf, der sich hinter dem mit Zeitschriften voll beladenen kleinen Verkaufstresen in ein Eisenbahnmagazin vertieft hatte.
    »Ja, sag mir bloß – was will die hohe Polizei heut schon von mir?«, Pettrich versuchte, Gelassenheit auszustrahlen, obwohl beim Anblick Hilschers überrascht, und klappte das Magazin zu. »Was treibt dich denn zu mir?«
    »Um ganz ehrlich zu sein, Alfred, ich bin sozusagen offiziell hier.« Joachim Hilscher blieb vor seinem Schulfreund stehen und schaute ernst drein.
    »Offiziell? Willst du mich festnehmen, oder was?«, gab sich Alfred Pettrich betont locker, obwohl sein Gesichtsausdruck eine gewisse Unsicherheit verriet.
    »Quatsch«, grinste ihn Hilscher an und rückte seine Brille zurecht. »Du hast dem Kollegen von der Kripo irgendetwas von einem Höhlenforscher erzählt …«
    »Und das hat deine Kollegen wohl interessiert?« Alfreds rundes Gesicht wurde fahl.
    »So sieht es aus. Was ist denn das für ein Kerl, um den es da geht?«
    Pettrich konnte nicht gleich antworten, weil eine ältere Stammkundin auftauchte, die eine Stange Marlboro verlangte. Er steckte sie in eine Plastiktüte, kassierte und verabschiedete die Frau, deren Gesichtshaut darauf schließen ließ, dass sie schon unzählige Zigarettenstangen konsumiert haben musste. »Ich hab keine Ahnung, ganz ehrlich. Werner hat vorgestern Abend erzählt, dass er jetzt sogar einen Höhlenforscher an der Hand hätte, der denen Paroli bieten kann, wie er sich ausdrückte.«
    Ein älterer Herr kam und verlangte nach Tabak. Mit einigen Griffen hatte Pettrich die gewünschte Ware auf dem mit Zeitschriften belegten Verkaufstresen.
    »Und wem hat er Paroli bieten wollen?«, hakte Joachim nach und verschränkte die Arme vor seiner Uniformjacke.
    »Denen von der Bahn und den Umweltschützern, die ihm zu lasch waren.«
    »Die waren ihm zu lasch?«
    »Ja, er hat sie als Weicheier beschimpft«, grinste Alfred übers ganze Gesicht, während er einem Stammkunden wortlos eine ›Bild‹-Zeitung gab und das Geld kassierte.
    »Ich denk, er hat ihre Meinung vertreten.« Joachim war verwundert.
    »Das hat nur äußerlich so ausgesehen. Die offiziellen Umweltschützer – wenn man sie so nennen darf – lehnen das Bahnprojekt ja nicht konsequent ab. Sie wollen nur, dass es optimal in die Landschaft eingebunden wird und die Belastung während der Bauzeit möglichst gering bleibt. Werner aber hat den Tunnel abgelehnt – ja, zwar auch, weil er der Ansicht war, die riesige Menge von Aushubmaterial werde die Landschaft verhunzen. Aber hauptsächlich ging es ihm um den Erhalt der unterirdischen Hohlräume. So hat er sich jedenfalls immer ausgedrückt. Dazu hat er jede Menge Material gesammelt – sogar Bau- und Konstruktionspläne. Ich hab noch gestaunt, dass dies so frei zugänglich ist.«
    Wieder kam ein älterer Herr, der – wie Alfred wusste – den neuesten ›Focus‹ wollte und wieder verschwand.
    Joachim runzelte die Stirn. »Und welchen Sinn macht es, Hohlräume im Berg zu schützen – oder sich so intensiv damit auseinanderzusetzen?«
    »Auch das sind Naturdenkmale – meinte er«, erwiderte Alfred wie immer schnell und mit einem Anflug von Sarkasmus. »Millionen von Jahren alt, bisher unberührt. Ewige Stille, ewige Nacht. Vielleicht hier und da ein paar Tropfen, die ins Wasser fallen. Gewaltige Tropfsteine, Hallen, Labyrinthe. Du warst noch nie in der Laierhöhle?«
    Joachim schüttelte den Kopf. Die Frage kam unvermittelt. Er hatte sich schon oft vorgestellt, wie es in dieser ewigen Finsternis sein musste. Nein, überkam ihn ein Schaudern, nie im Leben würde er in ein unbekanntes Loch

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