Glasscherbenviertel - Franken Krimi
melde, damit wir ein Treffen vereinbaren.«
»Ja, aber doch erst, wenn du in Nürnberg bist.«
»Ich bin gleich nach unserem Telefonat losgefahren und schon seit dem späten Abend hier. Allerdings hatte ich da noch etwas anderes zu tun.«
»Wo wohnst du denn?«
»Im Holiday Inn in Schwabach.«
»Nicht in Nürnberg?«, wunderte sich Hackenholt.
Renner antwortete nicht, sondern stellte stattdessen eine Gegenfrage: »Wie sieht es bei dir aus? Hast du in einer Stunde Zeit?«
»Heute ist es ganz schlecht. Ich bin gerade auf dem Weg nach Köln, um einen Beschuldigten zu vernehmen. Bis wir zurück sind, ist es locker achtzehn Uhr.«
»Aber ich muss dich unbedingt sehen. Es ist wichtig.«
Hackenholt seufzte. »Du hast doch gesagt, dass du Urlaub –«
»Dann um neunzehn Uhr auf dem Weihnachtsmarkt in Roth? Der soll so schön sein, hab ich gehört.«
»Das schaffe ich nicht, Peter. Allein von Nürnberg nach Roth brauche ich bei gutem Wetter und freier Straße eine halbe Stunde. Und warum überhaupt in Roth, wenn du in Schwabach wohnst?«
»Jetzt stell dich nicht so an. Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Ich zähl auf dich, Frank. Du wirst es schon schaffen. Früher warst du doch auch nicht so ein spießiger Trödler.« Damit legte Renner auf, und Hackenholt brauchte einen Augenblick, um das Gespräch zu verdauen.
An der Pforte des Polizeipräsidiums Köln erfuhren die beiden Nürnberger Ermittler, dass Köksal Aguzüms Haftprüfungstermin kurzfristig vorgezogen worden war. Der Kollege vom Kriminalkommissariat 11 hatte ihnen eine Nachricht hinterlassen: Er käme anschließend so schnell wie möglich mit Aguzüm in die Dienststelle zurück. Einstweilen sollten sie sich an die Schreibkraft im Kommissariat wenden, die sie mit frischem Kaffee und einer Kopie der hiesigen Akte versorgen würde.
Kurz vor halb zwölf wurde Köksal Aguzüm in das Zimmer geführt, in dem die Nürnberger Ermittler warteten. Einer der beiden Begleiter stellte sich als derjenige Beamte vor, mit dem Hackenholt am Telefon gesprochen hatte.
Der Haftprüfungstermin war wie erwartet verlaufen: Aguzüm war ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt worden, der seinem Mandanten geraten hatte, vor dem Richter keine Angaben zur Sache zu machen, bis er die Aktenlage geprüft hatte. Daraufhin hatte der Ermittlungsrichter entschieden, dass der Haftbefehl aufrechtzuerhalten sei und Köksam Aguzüm in Untersuchungshaft genommen werden müsse.
Im Anschluss an den Termin vor dem Kölner Amtsgericht hatte der Rechtsanwalt zugestimmt, seinen Mandanten zu einer Befragung ins Polizeipräsidium zu begleiten, sobald er erfuhr, dass zwei Beamte aus Nürnberg angereist waren. Es dauerte eine Viertelstunde, bis sich der Verteidiger in die dünne Akte eingelesen hatte, die Hackenholt ihm übergab, dann konnte die Vernehmung beginnen.
»Herr Aguzüm, erzählen Sie uns doch bitte etwas über den Sohn Ihres Schwagers. Wir versuchen noch immer, uns ein Bild von ihm zu machen.«
»Früher war Bülent ein braver Junge, der fleißig zum Koranunterricht kam. Aber je älter er wurde, desto eigensinniger wurde er. Seit er volljährig war, hat er nicht mehr auf das gehört, was sein Vater sich von ihm wünschte. Im Gegenteil, Bülent hat nur noch getan, wonach ihm der Kopf stand. Er hat sich von seiner Familie und seiner Religion abgewandt. Das ging sogar so weit, dass er sich mit einer Jesidin eingelassen hat, nur um seinen Vater vor den Kopf zu stoßen.«
»Sie sprechen von Rojin Barzani?«
Aguzüm nickte.
»Woher wissen Sie, dass Frau Barzani Jesidin ist?«
»Ich kenne ihre Familie.«
»Woher?«
»Die türkischen Gemeinden hier in Deutschland sind überschaubar. Über ein paar Ecken kennt da jeder jeden«, antwortete Köksal Aguzüm ausweichend.
»Uns wurde gesagt, dass Sie sehr religiös sind.«
»Ich erteile Koranunterricht und halte die Freitagspredigt in unserer Gemeinde.«
»Sie sind ein Imam?«
Aguzüm nickte.
»Dann haben Sie Theologie studiert?«
»Nein, ich stamme aus Südostanatolien. In meinem Dorf gab es nur eine Grundschule, die ich besuchen konnte. Mit sechzehn Jahren kam ich mit meinen Eltern nach Deutschland und habe mich später mehr schlecht als recht als Taxi- und Fernfahrer durchs Leben geschlagen. Aber dann habe ich durch eine Fügung des Propheten doch noch den wahren Weg gefunden.«
»Wie kam das?«
»Nachdem mein Vater völlig unerwartet gestorben war, habe ich bei einem
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