Glasscherbenviertel - Franken Krimi
Liebhaber von dieser Jesidin.«
»Nein, ich meinte, ob Männer Opfer werden können, weil sie sich nicht dem Willen der eigenen Familie beugen.«
»Auch das ist schon vorgekommen.«
»Herr Aguzüm, haben Sie Bülent Alkan umgebracht?«
»Nein, natürlich nicht! Ich hätte dem Sohn meines Schwagers nie etwas angetan!«
»Obwohl er sich Ihren Weisungen und denen seines Vaters widersetzt und damit die Familienehre verletzt hat? Und obwohl für Sie die Familienehre beziehungsweise Ihre eigene Ehre über allem steht? Sie hätten doch mit Sicherheit einen gewaltigen Ehrverlust hinnehmen müssen, wenn in Ihrer Gemeinde bekannt geworden wäre, dass Bülent und Rojin gegen Ihren und Özgür Alkans Willen zusammen weggegangen wären. Wie hätten Sie da noch Ihr Gesicht wahren können?«
Aguzüm quittierte die Frage mit einer wegwerfenden Handbewegung.
»Ich denke, das sollte für heute genügen«, mischte sich der Verteidiger ein.
Hackenholt nickte und bat die Schreibkraft, das Vernehmungsprotokoll auszudrucken, damit es der Beschuldigte unterschreiben konnte, bevor er von den Kölner Kollegen in die U-Haft gebracht wurde. Auf Fragen hinsichtlich des Mordes an Barzani hatte Hackenholt bewusst verzichtet. Da der Anwalt schon beim Haftprüfungstermin dazu geraten hatte, keine Angaben zur Sache zu machen, hätten sie nun auch nichts erfahren. Sie würden ihm die Anstiftung zu dem Gewaltdelikt durch Zeugenaussagen nachweisen müssen.
Um vierzehn Uhr verließen Hackenholt und Wünnenberg das Kriminalkommissariat 11 am Walter-Pauli-Ring in Köln. Der Hauptkommissar war zufrieden mit der Vernehmung. Köksal Aguzüm hatte ihnen mehrere Anhaltspunkte geliefert, die sie nun überprüfen und auswerten mussten.
»Wollen wir es wieder so machen wie auf der Herfahrt: Du übernimmst den ersten Teil der Strecke, und bei Frankfurt wechseln wir?«, fragte Hackenholt.
»Machen wir es diesmal lieber andersherum. Aber als Erstes müssen wir hier sowieso irgendwo tanken, sonst kommen wir nicht weit. Und ich hätte auch nichts dagegen, wenn wir noch etwas essen würden, bevor wir uns auf den Weg machen. Was meinst du?«
»Lass uns lieber schauen, dass wir heimkommen. Wer weiß, was auf der Autobahn los ist. Wenn du willst, können wir etwas für unterwegs mitnehmen.«
Obwohl sie keine Zeit vergeudeten, Wünnenberg sich im Tankstellenshop mit zwei Bechern Kaffee und belegten Brötchen eindeckte und sie die A45 nahmen, wurde die Rückfahrt zu einer enormen Geduldsprobe. Zunächst ging alles gut. Die Autobahn quer durch Hessen war geräumt und nicht übermäßig befahren, doch kaum hatte sich Wünnenberg ans Steuer gesetzt, gerieten sie kurz hinter der Anschlussstelle Weibersbrunn auf der A3 in einen Stau. Da sie den Verkehrsfunk zur vollen Stunde verpasst hatten, zückte er sein Smartphone und durchstöberte mehrere Staumeldungsseiten. Erfolglos – für ihren Abschnitt wurde nicht einmal zähflüssiger Verkehr gemeldet.
Eine Viertelstunde später – sie hatten sich keinen Millimeter vom Fleck bewegt – schwante ihnen, dass wohl irgendetwas Größeres passiert sein musste, als ein Einsatzfahrzeug der Autobahnpolizei auf dem Standstreifen vorbeiraste, dem zwei Rettungswagen und mehrere Feuerwehrfahrzeuge folgten. Wieder holte Wünnenberg sein Handy heraus und überflog die Staumeldungen: Inzwischen wurde für die A3 zwischen Weibersbrunn und Rohrbrunn ein Unfall gemeldet.
Um halb vier brachten ihnen die Verkehrsmeldungen auf Radio FFH endlich Gewissheit: Aufgrund der bevorstehenden Landung eines Rettungshubschraubers war die A3 in ihrem Abschnitt vollständig gesperrt worden. Der Rückstau betrug mittlerweile über zehn Kilometer.
Hackenholt schloss die Augen und lehnte seufzend den Kopf gegen die Nackenstütze. »Mach den Motor aus, Ralph, wir werden das Benzin noch brauchen.«
»Aber dann haben wir keine Heizung mehr.«
»Lieber frieren wir jetzt, als dass wir nachher, wenn wir weiterfahren können, keinen Sprit haben.«
»Mein Gott, ist das kalt.« Wünnenberg rieb sich die Hände und zog seinen längst hochgeschlagenen Jackenkragen enger. »Warum haben wir eigentlich keine Decken in unseren Dienstfahrzeugen? Das sollten wir mal als Grundausstattung anregen. Wenn wir hier noch eine halbe Stunde in der Kälte sitzen, holen wir uns eine Lungenentzündung und fallen bis auf Weiteres vom Dienst aus.« Erneut nahm er sein Smartphone aus der Tasche. »Jetzt sind es bereits dreiundvierzig Kilometer Stau. Das darf doch nicht wahr sein!
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