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Glasscherbenviertel - Franken Krimi

Glasscherbenviertel - Franken Krimi

Titel: Glasscherbenviertel - Franken Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Mohr
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türkischen Buchversand einen Koran bestellt und bin so mit zwei Kaplancis , Anhängern des Kalifatstaates, in Kontakt gekommen. Später wurde ich Imam einer unabhängigen Gemeinde im Nürnberger Land.«
    »Sie und Ihr Schwager haben aber trotz allem noch immer viel Einfluss auf Bülents Leben ausgeübt«, kam Hackenholt wieder auf die Familie Alkan zu sprechen. »Erst im Sommer haben Sie dafür gesorgt, dass Bülent seinen Arbeitgeber gewechselt hat.«
    »Wenn mein Neffe seinem Vater wirklich gehorcht hätte, hätte er sich seinen Wünschen gefügt und sich nicht weiter heimlich mit dieser Jesidin getroffen.«
    »Woher wissen Sie, dass sich Bülent und Rojin auch nach dem Arbeitsplatzwechsel noch gesehen haben?«
    »Als Prediger erfährt man alles. Meine Augen und Ohren sind überall.«
    »Darf ich das so verstehen, dass Ihnen diese Informationen von Ihren Gemeindemitgliedern zugetragen wurden?«
    Köksal Aguzüm nickte. »Einige unserer Brüder und Schwestern in der Gemeinde arbeiten in Nürnberg, haben ihr Häuschen aber draußen auf dem Land, weil sie genau wissen, wohin es führt, wenn ihre Kinder in der Stadt aufwachsen.«
    »Haben Sie eine Ahnung, wie Bülent und Rojin sich kennengelernt haben?«
    »Er hat sie in diesem Internetladen gesehen, den ihre Familie betreibt, und dann haben sie sich ein paarmal heimlich getroffen. Kein anständiges Mädchen würde so etwas tun. Natürlich sind ihre Brüder dem Treiben auf die Schliche gekommen. Aber anstatt ihre Schwester zur Ordnung zu rufen, haben sie meinen Schwager bedroht. Özgür hat mit Bülent gesprochen, doch genutzt hat es nichts. Mir ist mein Neffe zu dem Zeitpunkt schon aus dem Weg gegangen, sonst hätte ich ihm sehr deutlich gesagt, was ihn erwartet, wenn er weitermacht.«
    »Nämlich?«
    »Genau das, was nun passiert ist: dass ihn die Brüder der Jesidin töten werden, wenn er sich weiterhin mit ihrer Schwester einlässt.«
    »Haben Sie irgendeinen Beweis dafür, dass ein Mitglied der Familie Barzani Bülent Alkan umgebracht hat?«
    »Wer sollte es denn sonst gewesen sein? Sie haben im Sommer ihren jüngsten Sohn mit einer Warnung zu meinem Schwager geschickt, das ist so gut, als wären wir bei seiner Hinrichtung dabei gewesen.«
    »Bülent und Rojin wollten zusammen fliehen. Wussten Sie davon?«
    »So gut hätten sie sich gar nicht verstecken können. Man hätte sie mit Sicherheit gefunden.«
    Hackenholt seufzte. Nach all dem, was er bislang gehört hatte, fiel es ihm nicht schwer zu glauben, dass beide Familien alle Hebel in Bewegung gesetzt hätten, um die zwei jungen Leute aufzuspüren – wo auch immer sie hingegangen wären.
    »Wenn Sie aber doch annehmen, dass Servan Barzani Bülent umgebracht hat, warum hat Ihr Schwager dann auf Azad Barzani geschossen?«
    »Die Ehre der Familie ist das zentrale Rechtsgut. Ihre Verletzung kann nur mit Blut reingewaschen werden. Die Regeln der Blutrache verlangen nicht, den zu richten, der zuvor getötet hat. Es genügt, wenn ein Mitglied der Familie dafür büßt. Früher durfte laut Ehrenkodex ausschließlich an männlichen Familienmitgliedern Blutrache geübt werden – doch heute ist es erlaubt, irgendein Mitglied der Sippe auszuwählen. Lediglich innerhalb der Wände seines Hauses ist man sicher.«
    »Aber das ist Selbstjustiz, und die ist hier verboten.«
    »Blutrache ist keine willkürliche Vergeltungsorgie, sondern folgt strengen gewohnheitsrechtlichen Regeln, die bei vielen Völkern auf allen Kontinenten schon vor den staatlichen Rechtssystemen existiert haben. Für meinen Schwager und mich steht die Ehre der Familie über allem.«
    Hackenholt erschütterte die Selbstverständlichkeit, mit welcher der selbst ernannte Prediger aus irgendeiner alten Überlieferung das Recht ableitete, einen anderen Menschen zu töten. Und alles im Namen der Familienehre. Trotzdem wollte er mehr erfahren.
    »Wie kann es dann sein, dass bei einem sogenannten Ehrenmord Familienmitglieder ihre eigenen Brüder oder Schwestern beziehungsweise ihre eigenen Kinder töten?«
    »Wenn ein Mann einen Verlust seiner Ehre hinnehmen muss, hat er unter bestimmten Umständen keine andere Möglichkeit, sein Ansehen in der Gesellschaft wiederherzustellen. Eine Frau kann die Familienehre verletzen, indem sie sich weigert, den für sie Ausgesuchten zu heiraten, oder wenn sie eine außereheliche Beziehung führt.«
    »Können auch Männer Opfer eines Ehrenmordes werden?«
    »Selbstverständlich! Das sehen sie doch bei Bülent. Er war der

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