Glasscherbenviertel - Franken Krimi
sich derart streiten würden, dass Hackenholt stundenlang fortging und sein Diensthandy ausschaltete. Nicht jetzt, wo Sophie schwanger war und er sich endlich durchgerungen hatte, sie zu heiraten. Nein, in Mur keimte immer stärker der Verdacht, dass das, weshalb sie Hackenholt so dringend hatte sprechen wollen, mit seiner Unauffindbarkeit in Zusammenhang stand. In einem möglicherweise lebensgefährlichen Zusammenhang. Ihr wurde eiskalt und speiübel.
Ohne lange darüber nachzudenken, dass sie mit dem, was sie nun tun würde, nicht nur ihre eigene Karriere riskierte, wenn es herauskommen sollte, rief sie einen Freund an, der vor ein paar Jahren vom SEK zum Verfassungsschutz gewechselt war.
»Ja?«
»Hallo, Gregor, ich bin’s, Christine. Ich brauche deine Hilfe. Du musst für mich eine Person orten, ohne dass es jemand mitbekommt.«
»Schätzchen, du hast so einiges bei mir gut, aber –«
»Es geht vielleicht um Leben und Tod von einem Kollegen. Du darfst mich jetzt nicht hängen lassen, bitte.«
»Warum besorgst du dir keinen richterlichen Beschluss, wenn es so ernst ist?«
»Weißt du, wie lange so was nachts um halb zwölf dauert? Bis ich dem Jourstaatsanwalt alles erklärt habe, der dann wiederum einen Richter auftreibt, und anschließend brauchen wir das garantiert alles schriftlich in dreifacher Ausfertigung. Bis dahin kann es zu spät sein. Außerdem: Fällt das nicht unter die Rubrik ›Gefahr im Verzug‹?« Mur holte tief Luft. »Ich bin mir einfach nicht hundertprozentig sicher, ob ich nicht gerade aus einer Mücke einen Elefanten mache. Aber du könntest das doch schnell und ohne viel Aufhebens erledigen. Wozu bist du denn Cheftechniker? Wenn an der Sache nichts dran ist, wird niemand davon erfahren – wenn jedoch etwas passiert ist, würde ich mir nie verzeihen, dass ich nicht sofort alle Register gezogen habe. Verstehst du? Franks Handy ist eingeschaltet. Du kannst ihm eine ›stille SMS ‹ schicken und damit das Netz zur genauen Ortung seines Mobiltelefons zwingen, ohne dass jemand in seiner Nähe den Verbindungsaufbau mitbekommt. Bitte, Gregor, Frank ist mein bester Kollege«, beschwor sie ihn eindringlich. »Ein Beamter aus Düsseldorf ist wegen der Sache bereits umgebracht worden. Lass uns jetzt um Himmels willen keine weitere Zeit verschwenden!«
Vom anderen Ende der Leitung ertönte ein langes Seufzen. »Also gut, gib mir die Nummer. Aber sei dir bitte darüber im Klaren, dass wir damit beide unsere Pensionen aufs Spiel setzen.«
Um die Minuten bis zum Rückruf des Kollegen nicht sinnlos zu vergeuden, lief Mur zu ihrem Waffenfach und tat etwas, was sie seit sehr langer Zeit nicht mehr getan hatte: Sie holte ihr Holster samt Dienstwaffe aus der Ablage und befestigte es an ihrem Gürtel. Dann eilte sie ins Geschäftszimmer und nahm sich einen Fahrzeugschlüssel, bevor sie hinunter auf den Parkplatz rannte, wo sie im Wagen auf Gregors Nachricht wartete.
Der Minutenzeiger im Armaturenbrett des VW -Busses gab jedes Mal ein leises »Klack« von sich, wenn er eine Einheit weitersprang. Murs Nerven lagen blank, als endlich ihr Handy klingelte.
»Hast du was zum Schreiben?«
»Natürlich. Wo ist sein Handy?«
»In der Dieselstraße an der Ecke von der Fußgängerunterführung zur Zedernstraße. Ich habe mir die Lage gerade auf einer Straßenkarte angeschaut. Da draußen gibt es nichts außer ein paar Schrebergärten. Dass sich dein Kollege um diese Uhrzeit im Winter dort aufhalten soll, erscheint mir wenig plausibel. Du könntest also mit der Vermutung, dass etwas nicht stimmt, richtigliegen. Sei vorsichtig und nimm jemanden zur Unterstützung mit. Es nutzt nichts, wenn wir in einer halben Stunde auch noch nach dir suchen müssen.«
»Ich pass schon auf. Danke, Gregor. Jetzt hast du wieder etwas bei mir gut!« Rasch beendete Mur das Gespräch und ließ den Motor an.
Donnerstag
Hinter dem Bosch-Gebäude an der Gustav-Adolf-Straße bog Mur in die Dieselstraße. Einen Moment lang hatte sie gezögert, als sie am Polizeigelände in der Wallensteinstraße vorbeigefahren war. Vielleicht hätte sie doch zumindest eine Streife mitnehmen sollen? Aber dann war sie wieder unsicher geworden. Was, wenn sie sich täuschte? Was, wenn Hackenholt … aber was zum Teufel sollte er um diese Uhrzeit hier machen?
Mur trat auf die Bremse und rollte im Schritttempo über die vereiste Fahrbahn. Die Straße lag verlassen vor ihr, links und rechts flankiert von Industriebetrieben. Vereinzelt standen Auflieger
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