Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)
Füße spürte sie kaum noch. In ihren Ohren rauschte das Blut so laut, dass es sie betäubte. Vor ihren Augen tanzten Lichtflecken, schränkten ihre Sicht ein. Das Knie pochte unaufhörlich.
Chris fasste ihre Hand fester, zerrte sie unbarmherzig mit sich. Erschöpft stolperte sie hinter ihm her.
Die Stufen verschwanden unter ihren Füßen. Sie lief über den festgetretenen Boden des Schachtes. Jeder Schritt schmerzte bis in den Nacken. Ihre Muskeln standen in Flammen.
Hinter ihr trommelten die Schritte des Monsters. Der Sandmann holte auf.
Trotz aller Angst fehlte ihr die Kraft, sich schneller zu bewegen. Die Steigung raubte ihr beinah den Rest. Der Schacht wurde steiler und niedriger. Gleich würden sie in den flachen Gang kommen. Hoffnung blitzte auf. Wenn sie dieses Stück erreichten, wären sie gerettet.
Brennender Schmerz zuckte durch ihre Wirbel. Ihr Kopf wurde in den Nacken gerissen, als der Sandmann nach ihr griff. Camilla schrie. Mit der Kraft des Entsetzens warf sie sich nach vorn. Dumpfer Schmerz zuckte durch ihren Schädel, verwandelte ihre Kopfhaut in ein Flammenmeer. Das Monster riss ihr ein Büschel Haare aus. Camilla stürzte, fing sich mit beiden Armen auf dem Boden ab und rollte herum. Sie spürte keine Schmerzen mehr, keine Anspannung ihrer Muskeln. Der modrige Leichengeruch raubte ihr den Atem.
Sie wollte nicht sterben!
Sie musste alles auf eine Karte setzen. Alle Muskeln spannten sich, trieben ihren Körper auf Hände und Füße. Sie biss die Zähne aufeinander und stieß sich ab. Der Sprung gelang nicht weit, aber er reichte, um aus der direkten Nähe des Monsters zu entkommen. Zusätzlich gab ein Reißen ihr Schwung. Chris hatte ihren Arm ergriffen und zerrte sie aus der Reichweite des Sandmanns. Hinter sich hörte sie, wie seine Krallen über den Boden schabten. Er hätte sie in dieser Sekunde aufgeschlitzt.
Panik verlieh ihr Flügel. Sie schnellte auf die Beine und rannte, den Atem des Bösen im Nacken. Mehrfach glaubte sie, seine rasiermesserscharfen Krallen im Rücken zu spüren. Schneller! Sie musste noch schneller rennen! Sie würde die letzten Meter zum Schacht schaffen!
»Lauf, Camilla!« Chris zerrte sie unnachgiebig voran. Ohne seine Hilfe läge sie längst zerfetzt auf dem Boden.
Etwas streifte ihren Rücken. Hitze floss über ihre Haut. Ihre Hände schossen nach hinten und fanden einen Widerstand. In einem letzten Akt der Verzweiflung stieß sie sich ab. Ihr Körper krachte bäuchlings auf den Boden. Das Monster zerrte an ihrem Fuß. Camilla warf sich herum, trat aus, robbte zurück. Zwei starke Hände packten ihre Schultern und schleiften sie tiefer in den immer niedriger werdenden Gang. Camilla rutschte auf dem Hintern rückwärts, unterstützte Chris mit der verbleibenden Kraft ihrer Füße. Viel war es nicht. Sie traute sich nicht, die zusammengepressten Augen zu öffnen.
Das Wutgebrüll warf ein ohrenbetäubendes Echo durch den Schacht.
Erst nach einer Weile bemerkte sie, dass sie sich nicht mehr bewegte. Noch etwas hatte sich verändert, doch ihr schwindender Geist wollte nicht ausmachen, was es war.
Ihr Kopf flog zur Seite.
»Camilla! Nicht umkippen!«
Der brennende Schmerz auf ihrer Wange holte sie zurück. Chris hatte sie geohrfeigt. Das rasselnde Geräusch an ihrem Ohr stammte nicht vom Sandmann. Aber der feuchte, heiße Leichenatem schlug ihr doch ins Gesicht. War sie tot?
Camilla riss die Augen auf und prallte zurück. Ihr Rücken stieß gegen Chris’ breite Brust.
Dann zerriss ein erneuter Schrei die Stille. Der Sandmann brüllte rasend vor Wut auf. Er folgte ihnen nicht mehr. Das Monster steckte mit seinem unförmigen Leib nur wenige Armlängen entfernt in der Öffnung des Ganges fest.
Kapitel 8
Amadeos Geheimnisse
J enseits der Klappe auf dem staubigen Holzboden brach Camilla in die Knie. Ihr Herz raste noch immer, Adrenalin jagte durch ihre Adern. Hals und Lungen brannten. Sie konnte den Mund kaum schließen, so trocken fühlte er sich an. Ihr Körper bebte vor Anstrengung.
Hinter ihren halb geschlossenen Lidern tanzten flackernde Lichter auf flimmerndem Schwarz. Bei jedem Atemstoß zuckten Blitze auf. Zugleich passte sich das Zittern ihrem wilden Herzschlag an.
Der raue Stoff ihrer Kleidung klebte an ihrer Haut. Ein dünnes Rinnsal aus Schweiß bildete sich zwischen ihren Brüsten und an ihrer Wirbelsäule. In ihrem Kopf jagten Gedanken. Ihr wurde schwindelig. Sie stützte sich auf die Hände und drehte sich zu Chris um. Er lehnte
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