Glattauer, Daniel
mit
Schnorcheltragepflicht auch an Land. Kurzum: Max freute sich auf den Urlaub.
Aber
zunächst musste er einmal Kurt anbringen. »Tierheim« war nicht nur seine
einzige, sondern eigentlich auch eine verdammt gute Idee, dachte er. Vielleicht
würde er nach dem Urlaub auch vergessen haben, dass er einen Hund gehabt
hatte - und ihn unabsichtlich einfach nicht mehr abholen. Kurt würde sich
sowieso nicht mehr an sein Herrl erinnern, er wüsste gar nicht, in welchem
Zusammenhang er sich an ihn erinnern sollte. Und beide könnten ein neues Leben
beginnen. Er, Max, würde sich einen Goldfisch zulegen. Er würde eine eigene
Goldfisch-Kolumne in einer renommierten Zeitung bekommen. »Verschwommene
Augenblicke« würde sie heißen. »Einzigartig«, würden die internationalen
Kritiker jubeln, »dieser Mann versteht es, einen scheinbar beschäftigungslosen
Zierfisch lebendig, lebenslustig, frisch von der Fischleber weg zu beschreiben,
minutiös genau in all seinen Tagesabläufen, als tickte unter seinen Kiemen ein
Schweizer Präzisionsuhrwerk, und zugleich einfühlsam, mit noch nie gelesener
Süßwasserpsychologie. Wer von Trixi, dem Goldfisch, erfährt, wird sich in ihn
verlieben. Und Millionen Leser wissen plötzlich, dass auch in einem noch so
kleinen Lebewesen eine Seele baumelt...«
Und Kurt
würden sie im Tierheim zum Hundevertreter wählen und er würde eine eigene
politische Partei anführen, die Schlafpartei. Forderungen: weniger Essen,
weniger Gassi, weniger Menschen, mehr Fernsehen, mehr Frieden, mehr Ruhe. Lind
irgendwann würden sie einander auf der Straße begegnen, Kurt und er. Sie würden
einander wiedererkennen und liebevoll zuzwinkern, denn sie wollten die Zeit,
die sie gemeinsam verbracht hatten, plötzlich nicht mehr missen. Sie würden
denken, dass sie damals eben noch zu jung füreinander gewesen seien und dass
sie ihren Weg alleine hatten gehen müssen. »Du bist ein aufgewecktes
Bürschchen geworden«, würde Max Kurt anerkennend zurufen. Und Kurt würde
freudig bellen. - Nein, das würde er nicht tun; übertreiben würde er es nicht.
Aber »Tierheim« war eigentlich eine sensationell gute Idee, dachte Max, als
das Telefon läutete. Es war Katrin, die junge Augenärztin, die Frau, die er
unlängst im Traum küssen musste, die Frau, die Kurt nicht nehmen würde, weil
man Kurt nicht nehmen konnte, weil Kurt unannehmlich und unannehmbar war. »Ich
nehme ihn«, sagte sie. »Wann kann ich ihn ausprobieren? Vielleicht gleich
morgen?« - »Ja, das könnten wir uns einrichten«, erwiderte Max. Besser als
Tierheim, dachte er.
Katrins
Plan war einfach. Was heißt überhaupt Plan? Sie brauchte einen Grund, warum sie
den Weihnachtsabend nicht bei ihren Eltern verbringen konnte. Und ihr fiel kein
besserer Grund als ein Hund ein. Also musste sie ihn haben - diesen Kurt.
Natürlich könnte sie auch nur so tun, als hätte sie ihn. (Wie sollten es die
Eltern überprüfen?) - Aber das war nicht die Lösung. Katrin brauchte den Hund,
den Grund, den Heiligen Abend nicht bei ihren Eltern zu verbringen, vor allem
für sich selbst. Denn hund- und grundlos würde sie wahrscheinlich doch wieder
zu ihren Eltern gehen. Wohin sonst? Es gab doch an diesem beschissenen 24.
Dezember, ihrem beschissenen Geburtstag, keine andere Möglichkeit, als
»daheim« zu feiern. Und es gab für Katrin beschissenerweise nur ein einziges
»Daheim«, und das war bei ihren Eltern. Bei sich selbst daheim, in ihrer Wohnung,
war sie eben nicht daheim. Das heißt: 364 Tage im Jahr war sie es und sie fand,
sie war auch glücklich dabei. Aber an diesem einen Abend, dem beschissenen 24.
Dezember, dem beschissenen Geburtstag, ging es nicht. Dreimal hatte sie es
versucht.
Anlässlich
ihres 23. Weihnachts-/Geburtstages legte sie sich um sechs nieder, wachte um
neun auf und vernichtete eine Flasche Wein, die auf ihrem Nachtkasten stand.
Es war ihr Weihnachts-/Geburtstagsgeschenk von Augenarzt Dr. Harlich. Eigentlich
wollte sie die Flasche nur vom Geschenkpapier befreien, um wieder einschlafen
zu können. Wein musste ja bekanntlich atmen. Und Katrin ebenfalls. - In
Weihnachtspapier gehüllte Flaschen schnürten ihr die Atemwege zu. Es gab für
sie kein schärferes Sinnbild der Einsamkeit, als am Heiligen Abend, dem
Geburtstag, um 9 Uhr aufzuwachen und die Umrisse einer in Weihnachtspapier
gehüllten Weinflasche zu erkennen.
Um diese
schon wieder skurril erbärmliche Einsamkeit wenigstens mit sich selbst teilen
zu können, steckte sich Katrin die geöffnete
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