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Glattauer, Daniel

Glattauer, Daniel

Titel: Glattauer, Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Weihnachtshund
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Bouteille in den Mund, kippte
ihren Kopf zurück und stellte ihn erst wieder gerade, als die Flasche halb
leer war. Danach gelüstete ihr nach weiteren sozialen Kontakten. Deshalb rief
sie bei Familie Weiss an und wünschte ihr ein schönes Fest. Diplomingenieur
Herbert Weiss war damals ihr Geliebter. Nein, umgekehrt: Katrin war seine
Geliebte. Er war zwar 16 Jahre älter als sie, aber er meinte, das tue nichts
zur Sache. Und die Sache sei: Katrin war die Frau seines Lebens. Noch nie
hatte er mit einem Menschen so gut reden können wie mit Katrin. Noch nie hatte
ihn eine Frau so gut verstanden (obwohl sie noch so jung war). Und auch im Bett
harmonierten sie großartig, fand er. So großartig, dass er sogar in den
Mittagspausen zu ihr kam, um zu harmonieren. Dabei verzichtete er sogar auf das
gute Reden.
    Diplomingenieur
Weiss war fest entschlossen, seine längst gescheiterte Ehe - seine praktisch
schon gescheitert begonnene Ehe - zu beenden, um mit Katrin, der Frau seines
Lebens, ein neues Leben zu beginnen (das Leben seines Lebens) beziehungsweise
das gleiche Leben mit viel mehr Katrin und ganz ohne Ehefrau fortzusetzen.
Problematisch war dies eigentlich nur wegen der Kinder. Denn Diplomingenieur Weiss
hing sehr an ihnen. Fünf und sieben Jahre waren sie alt und sie hatten große,
nach ihrem Papa schreiende Kinderaugen, wusste Katrin aus Erzählungen.
    Deshalb
wollte er zur Trennung nur noch das Weihnachtsfest abwarten, denn zu
Weihnachten waren die nach dem Papa schreienden Kinderaugen erfahrungsgemäß
besonders groß. - Es handelte sich übrigens um das Weihnachtsfest vom Vorjahr.
Katrin war mittlerweile des Diplomingenieurs Geliebte im zweiten
Weihnachtsjahr. Warum er sich nach dem ersten Fest nicht hatte scheiden lassen?
- Nun, die nach ihrem Papa schreienden Kinderaugen waren überraschenderweise
über Weihnachten hinaus groß geblieben. Dann kam Ostern, dann der Urlaub, dann
ging der Kleine erstmals zur Schule. Und dann stand ohnehin schon wieder
Weihnachten vor der Tür. Das wollte Diplomingenieur Weiss noch ein allerletztes
Mal familiär hinter sich bringen, wegen der Kinderaugen. Danach würde das
Leben mit Katrin beginnen.
    Sie stand
also unmittelbar vor der Beendigung einer einjährigen Wartezeit. Sie wartete
dabei eigentlich nicht auf den Diplomingenieur selbst, nur auf das Ende, auf
ihn zu warten, denn dieser Zustand war konsequent unerträglich. Ob sie ihn
liebte? - Das konnte sie nicht sagen. So gut kannte sie ihn nicht. Warum sie
ihn nicht stehen ließ? - Er war noch nicht reif zum Stehengelassenwerden, er
stand ja noch gar nicht richtig da. Er stopfte ihr eigentlich nur die
Mittagspausen mit seiner horizontalen Art von Harmonie zu.
    Nun, sie
rief also an und wünschte der Familie ein schönes Weihnachtsfest. Die gescheiterte
Frau zur Ehe war am Apparat, im Hintergrund hörte Katrin erstmals jene Kinderstimmen,
die zu den großen, nach dem Papa schreienden Kinderaugen gehörten. »Wer sind
Sie?«, fragte die gescheiterte Ehefrau überraschend interessiert. »Die Geliebte
von ihrem Exmann«, erwiderte Katrin. Das »Geliebte« kam vielleicht etwas
vulgär, das »Ex« war inhaltlich ein bisschen übertrieben, aber in ihrem Kopf
entfaltete der Flascheninhalt bereits sein volles Bouquet. Die gescheiterte
Ehefrau sagte dann nichts mehr. Dafür war Diplomingenieur Weiss plötzlich am
Apparat und meinte fünfmal fragend »Hallo?«, ehe er: »Sie müssen sich verwählt
haben« von sich gab. Das klang zwar ziemlich distanziert für einen Mann, der
gerade mit der Frau seines Lebens sprach. Aber im Grunde hatte er Recht. Katrin
legte auf, duschte sich eine Stunde kalt, machte sich einen Kaffee, zog sich an
und fuhr zu ihren Eltern. Die wollten sich gerade gemeinsam das Leben nehmen,
weil ihr Kind Anstalten gezeigt hatte, am 24. nicht nach Hause zu kommen.
Daheim bei den mit dem Schrecken davongekommenen Eltern übernahm Katrin noch
rasch ihre Geschenke und schlief sich dann sogleich ihren Weinrausch und ihren
einjährigen Weiss-Kater aus. Der Diplomingenieur meldete sich nie wieder.
     
    Zwei Jahre
später war es wieder so weit. Katrin war unzweifelhaft in der idealen
Verfassung, Weihnachten (und ihren 25. Geburtstag) nicht bei ihren Eltern zu
verbringen. Am Telefon erzählte sie ihnen, sie hätte am Vorabend einen Mann
kennen gelernt. Heute wollten sie gemeinsam Geburtstag und Weihnachten feiern
und übermorgen wollten sie heiraten. (Sie selbst sagte weder »übermorgen« noch
»heiraten«, aber die Eltern

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