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Glattauer, Daniel

Glattauer, Daniel

Titel: Glattauer, Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Weihnachtshund
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Telefon. Es war das
Telefon. Es war sieben Uhr. Max schrie: »Neiiiiiiiin!« Kurt wurde aus dem
Schlaf gerissen, drehte sich um und schlief weiter. Hätte sie es getan?
     
    Draußen
war es noch finster. Katrin wunderte sich, wie es ihr gelungen war, das Bett zu
verlassen. Außerhalb konnte nichts besser sein als unterhalb der Decke. Im
Radio hatten sie einen »Föhnsturm« angekündigt. Allein das Wort zog ihr die
Schläfen wie Magnete zusammen. Was halbwegs nach Schnee ausgesehen hatte, war
geschmolzen. Zurück blieben grau-weiß tapezierte Dreckhügel mit gelben Einschusslöchern
von Typen wie Kurt. Es hatte jedenfalls keinen Sinn, länger als ein paar
Sekunden aus dem Fenster zu schauen, um zu erahnen, was der Tag bringen konnte.
Er konnte nichts bringen. Woher sollte er es nehmen?
    Katrin
trank schwarzen Kaffee und aß Zwieback. Die Milch war sauer, Brot gab es keines
mehr. Beim Wort »Müsli« hätte es ihr die Schläfen, die das Wort »Föhnsturm« migräneartig
zusammengezogen hatte, brutal auseinandergeschleudert. Katrin lebte gern
gesund, aber nicht an einem finsteren Dienstagmorgen im Dezember. Da war sie
froh, dass sie überhaupt lebte.
    Von ihrem
Computer war normalerweise nicht viel zu erwarten. Aber immerhin: Vier hatten
ihr bereits geantwortet. Beate schrieb: »Danke, dir auch eine gute Nacht. Du
hast mir sehr geholfen. Weißt du, mit Joe ist es zwar nicht einfach, aber ich
glaube, wenn es zu einfach wäre, würde ich es gar nicht aushalten.« Auch
Franziska hatte geantwortet. Sie schrieb: »Hey, Katrin, wie kommt es zu einem
Rundschreiben um Mitternacht? Ist etwas vorgefallen? Ich ruf dich an! Deine
Franzi.« Franziska war Katrins beste Freundin, leider hatte sie zwei kleine
Kinder. Nein, anders: Leider hatte sie wenig Zeit, weil sie zwei kleine Kinder
hatte. Und leider waren die beiden Kinder immer dabei, wenn Franziska (wenig)
Zeit hatte. Es waren Kinder, für die es keinen Babysitter gab.
    Manche
Kinder kamen zur Welt, wurden den kraftlosen Müttern in die Arme gedrückt und
man sah sofort: Das waren Kinder, für die es keinen Babysitter gab. Sie
konnten sich zwar noch nicht mitteilen. Sie konnten nur die verknautschte
Stirn runzeln, den Mund öffnen und den einen oder anderen Eröffnungsschrei von
sich geben. Aber sie hatten bereits eine imaginäre Tafel um den Hals hängen.
Und darauf stand: »Für uns gibt es keinen Babysitter. Sollte einer zum Einsatz
kommen, machen wir ihn zur Sau.« Und die kraftlosen Mütter drückten die Kinder
so fest sie (schon) konnten an ihre Brust und signalisierten damit: Macht
nichts. Wir brauchen keinen Babysitter. Wir sind immer für euch Babys da. Und
ihr seid immer bei uns dabei. Und wenn das unseren Freunden nicht passt, dann
haben sie eben Pech gehabt. - So eine Mutter war Franziska. Sie hatte übrigens
auch einen Ehemann. Katrin war verblüfft, dass sie auch das noch unterbrachte.
    Es gab
zwei weitere elektronische Antworten. Eine kam von Aurelius, die öffnete sie
zuerst. Er war die letzte große Liebe der Schulmeister-Hofmeisters gewesen. Er
hatte alles, was ein Mann haben musste, damit die Eltern sagen konnten:
»Goldschatz, was willst du mehr?« (Mutter.) Und: »Maus, lass nur ja nicht
locker. Machen wir Nägel mit Köpfen!« (Vater.) Aurelius war erst 35 und hatte
schon eine eigene Notariatskanzlei (geerbt). Er war Staatsmeister in der Vierer-Klasse
(Rudern). Er war ehrenamtlicher Präsident des Taubenzüchterverbandes. Er war
klug. Er war gebildet. Er war schön. (Schöner als das »Best of« der letzten
drei James Bonds, also bereits obszön schön.) Er hatte zwölf dunkle Anzüge,
zehn Paar schwarze Schuhe. (Praktische Schuhe. Sie sahen alle gleich aus, er
konnte sie beliebig variieren, er musste nur aufpassen, dass er nicht zwei
linke oder zwei rechte erwischte.) Er hatte drei Putzfrauen: eine Hausputzfrau,
eine Fensterputzfrau und eine Schuhputzfrau. Er hatte ... darf es genug sein?
Er schrieb: »Wenn du dich einsam fühlst, so weißt du, wo du mich erreichst. In
treuer Liebe, Aurelius.« Er hatte kein Gefühl für die richtigen Worte zur
richtigen Zeit.
    Die vierte
Antwort kam von Max. Katrin hatte gerade ein letztes Stück Zwieback den Rachen
hinunterbröseln lassen, und der heiß nachgespülte schwarze Kaffee zupfte wie
ein Kontrabassist an ihrer Magenschleimhaut. Da las sie: »Guten Morgen. Der
Birnenkuchen ist fertig. Sie können gern zum Frühstück kommen. Kurt freut
sich. Lieber Gruß, Max.« Frühstück war eine Idee, dachte sie und rief

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