Glattauer, Daniel
weil ihm eine Kurztournee dazwischengekommen
war. »Erfährt er von seinen Auftritten immer erst einen Tag davor?«, fragte
Katrin. »Weißt du ...«, erwiderte Beate. Und dann kamen: »Künstler«,
»zerstreut«, »chaotischer Manager«, »tut ihm selbst so leid« und »hat sich
schon so darauf gefreut«. Dann weinte Beate. Dann tröstete sie Katrin. Dann
fiel ihr Beate in die Arme und schluchzte. Dann klopfte ihr Katrin mütterlich
aufs Schulterblatt und wählte dazu die schlimmste Lüge, die man Freundinnen
antut, um ihnen Gutes zu tun: »Wird schon werden!« -»Glaubst du?«, fragte Beate
mit sich von Tränen verabschiedender Stimme. »Ja«, log Katrin. Auch schon
egal. Beate fühlte sich besser.
Und Katrin
ging es auf dem Nachhauseweg richtig gut. Der schmelzende Schnee roch nach
eingeweichten Cornflakes. Die Luft war scharf wie Pfefferminze. Katrin atmete
auf und durch. Sie hatte das Gefühl, als würde sie ihren inneren Organen eine
Heilmassage angedeihen lassen. Sie freute sich auf ihre kleine Wohnung, die sie
mit keinem partnerschaftlichen Problem teilen musste. Es tat ihr gut, nicht
verliebt zu sein, sich nach niemandem zu richten und auf nichts und niemanden
warten zu müssen. In der Küche befanden sich exakt jene Teller und Tassen noch
nicht im Geschirrspüler, die Katrin nicht hineingestellt hatte, weil ihr exakt
diese Handgriffe zu viel gewesen waren. Im Badezimmer musste sie nicht
nachdenken, ob sie die rote oder die blaue Zahnbürste verwenden sollte - beide
gehörten ihr. Im Schlafzimmer lag das Kopfpolster in der Mitte des Doppelbettes
und würde nicht irgendwann in der Nacht auf eine der Seiten geschoben werden.
Und Licht leuchtete so lange, bis Katrin und nur Katrin es abdrehen würde.
Aber sie
war noch nicht müde genug. Ihre Selbstzufriedenheit wühlte sie auf. Sie wollte
sie gern teilen oder zumindest mitteilen. Sie stand auf, bediente den Computer,
öffnete ihr Postfach mit den 15 zuletzt gespeicherten Adressen ihrer Mailbox -
ein grober Querschnitt ihres sozialen Umfeldes - und schickte eine E-Mail an
alle. »Katrin wünscht euch eine gute Nacht.« Dann legte sie sich nieder, drehte
das Licht ab, dachte an Beate und Joe - und schlief schon im halben Gedanken
daran erleichtert ein.
Max wurde
von Kurt auf Katrins E-Mail aufmerksam gemacht. Kurt hatte sich in einem
Anflug von Dynamik um die eigene Achse gedreht und dabei mit dem Schwanz die
Computer-Maus vom Schreibtisch gefegt. Nicht dass er sich für Mäuse
interessierte, aber das Kabel gefiel ihm. Er konnte es sich ohne Anstrengung
um die Beine wickeln und damit eine vollständige Steh- und Gehunfähigkeit
herbeiführen, einen Zustand, für den es sich zu leben lohnte.
Max
entfesselte ihn wortlos und prüfte dann die technischen Folgen. Der Computer
funktionierte zum Glück einwandfrei. Bei dieser Gelegenheit öffnete er die
Mailbox und entdeckte den Gute-Nacht-Gruß von Katrin. Es war knapp vor Mitternacht.
Er war aufgeregt und hellwach. Er hatte keine Zeit zu verlieren. Er musste
sofort beginnen. Zuerst natürlich der Teig. Die Birnen kamen erst später dazu.
11.12.
Der
Birnenkuchen in Gedanken an Katrin war fertig. Welche Gedanken? - Ach, einfach
dass wieder einmal ein neuer Mensch da war, für den es sich lohnte, um Mitternacht
einen Birnenkuchen zu backen. Das heißt: Ob es sich lohnen würde, war noch
ungewiss. Aber es machte Spaß. Und immerhin nahm sie ja Kurt, wenn es so weiterging
wie bisher. Wer nahm schon Kurt? Außerdem hatte sie Max eine »gute Nacht«
gewünscht. Er erkannte wohl, dass das nichts zu bedeuten hatte. Er sah, dass
ihre E-Mail ein belanglos formulierter Gemeinschaftsgruß an mehrere Personen
gleichzeitig war. Er hatte nichts Persönliches. Katrin hatte ihm gegenüber
nichts Persönliches. Max fühlte sich von ihr persönlich noch nicht registriert.
Er konnte
sich auch nicht vorstellen, dass Katrin an ihm interessiert sein könnte. Das
heißt: Er hatte noch gar nicht versucht, sich so etwas vorzustellen. Das heißt:
Sie hatte ihm noch kein Signal gegeben, das ihn dazu veranlasst hätte, zu
versuchen sich vorzustellen, dass sie an ihm interessiert sein könnte. Er
hatte ihr allerdings auch keinen Grund für ein Signal gegeben, das ihn dazu
veranlasst hätte, zu versuchen sich vorzustellen, dass sie an ihm interessiert
sein könnte.
Im Übrigen
war er an ihr ja auch nicht interessiert. Nicht, weil sie nicht interessant
war. Das heißt: Er hatte sich noch gar nicht überlegt, ob sie interessant
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