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Glattauer, Daniel

Glattauer, Daniel

Titel: Glattauer, Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Weihnachtshund
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einem weißgrau gestreiften Hemd unter einem
schwarzgrauen Wintermantel, alles mindestens Versace (außer der Gesichtsfarbe,
die stammte aus dem Solarium). Es war Aurelius.
    Er hob den
Nacken des Weihnachtsmannes, Katrin tätschelte sein Gesicht. Aurelius pumpte
an der Brust des Scheinheiligen, Katrin untersuchte dessen Augen. In zehn
Minuten hatten sie ihn wieder bei Bewusstsein, eine halbe Stunde brauchten sie,
um ihn an eine Wand zu lehnen, an der er Halt finden konnte. Danach lud der
Helfer die Helferin auf ein Glas Sekt ein.
    Für den
nächsten Abend hatte er Konzertkarten. Am dritten Abend führte er sie ins
Theater. Anschließend zeigte er ihr bei einem so genannten Jahrgangs-Champagner
(hatte nicht jeder Champagner einen Jahrgang, fragte sich Katrin) einige
Räumlichkeiten seiner zweihundert Quadratmeter großen Dachetagenwohnung. Ihr
blieb der Mund offen, und sie war beschwipst. Er nützte die Situation nicht
aus, obwohl es sie nicht gestört hätte. Er brachte sie nach Hause und lieferte
sie vor dem Haustor ab, obwohl er gern hätte mitgehen können. Er verabschiedete
sich mit Handkuss, obwohl sich Katrin schon in unangebrachteren Momenten zu
einem Kuss hatte hinreißen lassen. Das konnte Liebe werden, dachte Katrin.
    Die
Schulmeister-Hofmeisters trauten ihren Ohren nicht, als sie von Aurelius
erfuhren. Das war am vierten Abend. »Es ist noch zu früh, etwas zu sagen«,
verriet sie sich am Telefon. »Goldschatz, was ist er?«, fragte die Mutter, dem
Herzinfarkt nahe. »Mama, er ist nicht, er hat«, erwiderte Katrin und zählte
auf. Ihr selbst war sein Besitztum egal bis höchstens angenehm. Aber sie
wusste, wie sehr die Eltern den Wert ihrer Tochter (und somit den Wert ihrer Erziehung)
an der materiellen Ausstattung des potenziellen Schwiegersohnes maßen. Nach
fünf Minuten musste der Vater den Hörer übernehmen. Die Mutter brauchte beide
Hände für ein Dankesgebet an den Schöpfer.
    Am fünften
Abend erklärte er Katrin im teuersten Haubenlokal der Stadt, zu Rehmedaillons,
dem vierten Gang des Degustationsmenüs, die Liebe. Erstens erklärte er, was Liebe
war. (Es fielen Ausdrücke wie »Nestwärme«, »schützende Hand«, »Seite an Seite
kämpfen«, »Treue bis in den Tod«, »Altersvorsorge«, »Stammbaum« und
»gemeinsames Erbe«. Sex war nicht dabei.) Zweitens erklärte er, dass er sie
liebte.
    »Ist das
nicht ein bisschen früh, so etwas zu sagen?«, fragte Katrin und freute sich
schon auf den noch ausständigen gemischten Dessertteller. »Liebe ist nicht
früh oder spät«, erwiderte Aurelius und putzte mit der Stoffserviette etwa
zehn Sekunden an jedem Mundwinkel. »Liebe ist, oder sie ist nicht.« Er hob sein
Kinn, bis der Nasenrücken parallel zur Tischplatte stand, fasste Katrin an
beiden Händen und hauchte vervollständigend: »Und sie ist!«
    An diesem
Abend saßen sie noch lange an einem seiner beiden offenen Kamine und starrten
gemeinsam ins Feuer. Dabei erklärte er ihr Teile der Welt. Sie hörte
interessiert zu und redete nur in unbedingten Notfällen dagegen, zum Beispiel
beim Thema »Arm und Reich«. Dazu wusste er, dass in dieser Welt kein fleißiger
Mensch arm sein musste. Katrin wollte die harmonische Stimmung nicht gefährden,
sie zählte nur fünf Gegenbeispiele auf und erwähnte einige afrikanische Länder.
Man einigte sich darauf, dass kein fleißiger Sohn eines Millionärs arm sein
musste.
    Unterschiedlicher
Ansicht waren sie auch, was den außerehelichen Beischlaf anlangte. Darum ging
es am sechsten gemeinsamen Abend. Da machte ihr Aurelius einen Heiratsantrag.
Sie lachte halbsüß (es war eine Mischung aus geschmeichelt und bedrängt) und
fragte liebevoll: »Bist du verrückt?« Und fügte hinzu: »Wir haben ja noch nicht
einmal miteinander geschlafen.« - Eben, darum freue er sich ja auch schon so
sehr auf die Hochzeitsnacht, stellte sich sogleich heraus. »Ich kann es gar
nicht erwarten«, gestand er ihr mit einem unbeabsichtigten Ausdruck von Schalk
in den Augen.
    »Ich
heirate sicher nicht in den nächsten zwei Jahren«, sagte Katrin, so zärtlich
der Inhalt der Worte es zuließ. Aurelius räusperte sich und griff an die
Innenseite seines Sakkos, als wollte er einen Kalender zücken. »Ich glaube,
wir sollten die Sache einmal überschlafen«, erwiderte er nobel brüskiert und
zwang sich zu einem tapferen Lächeln. Als sie gerade ausreichend Luft geholt
hatte, um ihn zu fragen, ob sie bei ihm nächtigen dürfe, fragte er: »Darf ich
dich nach Hause bringen?« - »Ja,

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