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Glattauer, Daniel

Glattauer, Daniel

Titel: Glattauer, Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Weihnachtshund
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diesbezüglich viel Geduld,
meinte Paula. 9) Kurzum: Er musste Zeit gewinnen, ohne die Nerven zu verlieren.
Wenn sie dann einmal ein paar Wochen intensiv zusammen waren, konnte er es ja
einmal probieren. Vielleicht war er dann auch schon so sehr verliebt, dass ihm
das Küssen kein Problem mehr bereitete.
     
    Einwand
eins: »Ich bin schon jetzt verliebt«, sagte Max. Einwand zwei: »Ich will Sex
mit ihr.« Einwand drei: »Außerdem bin ihr eine Erklärung schuldig.« Er
erzählte Paula von der Trainingsaffäre mit Natalie, und dass er dies Katrin
als »unkomplizierte sexuelle Beziehung« verkauft hatte. Dazu Paula: »Das war
sehr, sehr dumm! Sex mit einer anderen ist am Anfang unverzeihlich. Sag ihr,
dass du Natalie erfunden hast, um dich interessant zu machen.« - »Das schaffe
ich nicht, das wäre mir zu peinlich«, gestand Max. »Dann kann ich dir nicht
helfen, mein Lieber«, schloss Paula, klopfte Max dreimal auf die Schulter und
signalisierte ihm damit, dass sie mit ihrer therapeutischen Gebrauchsanleitung
am Ende war.
     
    Als Max
heimkam, lag Kurt unter seinem Sessel und schlief. Das änderte sich
zwangsläufig, als sie sich gemeinsam auf den Weg machten, Katrin zu besuchen.
Kurt wollte zwar nicht, aber er wurde ja nie gefragt, immer gleich gezogen und
geschleift. Bereits im Stiegenhaus verließen ihn die Widerstandskräfte. Draußen
juckte stacheliger Regen auf seinem Deutsch-Drahthaar-Fell und ein hässlicher
Nordwind blies gemein gegen seine wetterdurchlässige Schnauze. Außerdem war
es unerträglich kalt im Esterhazypark. Andere, artgerecht gehaltene Hunde
trugen im Winter einen Bauchschutz. Kurt natürlich nicht, seinem Herrl war das
zu peinlich. Deshalb musste Kurt frieren. Er war leider zu müde, um einen
entsprechenden Gerichtshof zu bemühen.
    Die
Wohnung befand sich im zweiten Stock. Kurt stieg freiwillig die Treppen hinauf.
Er brauchte dringend einen Gegenstand aus möglichst rauem Stoff, an dem er sich
seinen feuchten Rücken abreiben konnte. Die Tür öffnete sich. Die Frau roch
nach wiehernder Leberkäsesemmel und kam ihm persönlich bekannt vor. Der Boden
ihrer Behausung war in einem desaströsen Zustand, der Tierschutzorganisationen
wachgerufen hätte. Er bestand aus nicht geheizten Fliesen, auf denen nichts
lag, das nach einer sinnvollen Abreibung aussah. Um zum ersten (und einzigen)
Teppich zu gelangen, musste Kurt zwei Räume abtasten und zwei weitere
durchstöbern. Vorteilhaft war, dass über das im hintersten Winkel aufgespürte
bescheidene Stoffviereck ein Bett ragte, unter dem er sich verkriechen konnte.
Als Max mit erstaunlicher Verspätung fragte, ob er ein Tuch haben könnte, um
dem Hund den Dreck von den Pfoten und vom Fell zu wischen, war der Juckreiz am
Rücken bereits gestillt und der Halbschlaf eingekehrt. Da sich nichts mehr
rührte, war Kurt hier offenbar ohnehin kein Thema. Folglich schlief er bis auf
Widerruf.
     
    Max vergaß
innerhalb eines Blickkontaktes, was ihm Paula eine Stunde lang einzutrichtern
versucht hatte. Es gab Blicke, die entschieden sofort, was folgen musste.
Katrin lehnte mit leicht hinausgedrehter Hüfte und überkreuzten Beinen am
Türstock. Max war klar, dass sie die Frau war, auf die er sein Leben lang
gewartet hätte, hätte er das Zeug dazu gehabt, ein Leben lang auf eine Frau zu
warten, die er nicht kannte. Sie steckte in einem eng anliegenden dünnen
schwarzen Pullover, der erst unter den Knien, wenn überhaupt, endete.
Wahrscheinlich war der Pullover übrigens ein Strickkleid.
    Die Stimme
sagte: »Hallo Max, schön, dass du gekommen bist.« So ein Gesicht suchten sie
für flippige Pariser Modekataloge. Die professionell zerzausten kurzen Haare
hatten soeben eine schräge Frisurmesse gewonnen. Die Augen wurden als
unerschwingliche Markenprodukte vor einem Elitepublikum zur Schau gestellt.
Aber der Blick daraus war über das perfekteste Werbedesign erhaben. Er war
offen, scharf, lebendig, echt, fordernd - und auf Max gerichtet. Es war kein
»Zöger-den-Kuss-noch-wochenlang-hinaus-dann-gewinnst-du-an-Charisma«-Blick. Es
war auch kein »Zöger-den-Kuss-noch-ein-paar-Sekunden-hinaus-dann-steigt-meine-Achtung«-Blick.
Es war ein »Küss-mich-sofort«-Blick, ein »Küss-mich-auf-der-Stelle-und-höre-nie-wieder-auf«-Blick.
    Max küsste
Katrin auf der Stelle und hörte sofort wieder auf. Er kannte die Mischung aus
ungestümem Verlangen und traumatischem Ekel. Aber er kannte sie nicht in dieser
Intensität. Der Kuss war anders als jeder bisher

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