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Glattauer, Daniel

Glattauer, Daniel

Titel: Glattauer, Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Weihnachtshund
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Tausenden an sich heran?
Wieso kam er überhaupt an sie heran? Geld hatte sie keines. Küssen tat ihm
nicht gut. Sex wollte er also keinen. Was wollte er eigentlich von ihr?
    Ihre Hand
suchte den Polster zum Ersticken der Gedanken. Dabei berührte sie einen
Gegenstand. Wecker? Buch? TV-Fernbedienung? Nein, es war etwas anderes,
Weicheres, Unförmigeres. Katrin fühlte ihr Herz klopfen. - Überraschend, dass
ihr Herz noch da war. Sie hätte gerade noch gern für immer darauf verzichtet.
Aber jetzt brauchte sie es plötzlich. Sie war aufgeregt. Irgendetwas war los in
ihrem Bett.
    Sie schob
den Kopf unter der Decke hervor, drehte sich zu dem entdeckten Gegenstand und
öffnete einen Spalt ihrer Augen. In diesem Moment vereinigten sich mehrere
Sinneswahrnehmungen zu einem Bild der Erkenntnis - zu rasch für einen
hysterischen Aufschrei, zu langsam für einen Herzinfarkt. Katrin drückte an dem
Gegenstand. Er gab unter einem entsetzlich quietschenden Geräusch nach. Es war
die wiehernde Leberkäsesemmel. Auf halbem Wege des Reizes zur Ausarbeitung im
Hirn fiel etwas auf Katrins Schulter. Ein Arm. Ein geknickter Arm. Ein dünner
Arm.
    Ein
behaarter Arm. Ein dicht behaarter Arm. Gleichzeitig kroch ihr ein warmer
Luftzug in die Nase. Der Geruch war faulig wie Laub aus der Kloake.
    Katrin
riss die Augen auf und blickte in sein drahthaarumhülltes Antlitz. Kurt. Er
starrte sie aus großen würfelförmigen Augen an. Die Schnauze rieb nur
Millimeter von ihrer Nase entfernt rhythmisch auf dem Leintuch. Die Zunge
kassierte eine frisch angespülte Schicht Speichelschaum von der Lefze ein und
schleuderte ein paar Tropfen davon auf Katrins Polster. Alle paar Sekunden
verließ ein aus der Tiefe des Rachens hinaufgezogener grollender Seufzer der
Behaglichkeit sein Maul.
    Weiter
unten klopfte der Drahthaarschwanz in kurzen Intervallen gegen die Bettkante.
Das machten Hunde, wenn es ihnen gut ging, wusste Katrin. Sie fühlte sich der
Situation ausgeliefert und weder mental in der Lage noch moralisch
verpflichtet, sich damit auseinanderzusetzen. Sie hatte dieser morgendlichen
Begegnung nichts hinzuzufügen. Kurt ging es gut. Er lag flach wie eine
Spielkarte und gestreckt wie ein Schuhlöffel auf den schwarzbraun eingefärbten
laschen Überresten eines ehemals weißen Spannleintuches quer über ihrem
Doppelbett. Er fühlte sich wohl, sie vergönnte es ihm. Er war vergessen worden
und hatte das Beste daraus gemacht.
    Interessanterweise
war der Hund der Erste von beiden, der das Bett verließ. Er kam mit den
veränderten Bedingungen besser zurecht als Katrin. Da er schon einmal vor dem
Badezimmer stand, konnte man ihn eigentlich unter die Dusche stellen, dachte
sie. Dem Fußboden schadete es nicht und ihr selbst war es egal. Sie hatte
ohnehin nichts Besseres vor. Es war halb acht, eine halbe Stunde vor Arbeitsbeginn.
Die ersten Augenarztpatienten kreisten wahrscheinlich bereits blind um die
Ordination. Doktor Harrlich war sicher schon anwesend und bereitete sich auf
seine verbale Morgengabe vor: »Guten Morgen, schönes Fräulein. Ich wünsche
Ihnen einen angenehmen Arbeitstag zu Beginn einer sehr intensiven Arbeitswoche.
Wir erwarten heute dreißig Patienten. Falls Sie etwas brauchen - ich bin
telefonisch jederzeit für Sie erreichbar ...«
    Und sie
duschte daheim einen grindigen Hund, mit dem sie gerade noch das Bett geteilt
hatte. Mutter und Vater sollten sie so sehen! Er stand wie ein verfallenes
Kriegerdenkmal in der Badewanne und hatte die Warnblinkanlage seiner Augen
aktiviert, um den Anschein zu erwecken, die Wasserzufuhr jederzeit stoppen zu
können. Beim Abtrocknen brummte er wie ein Waschbär, beim Bürsten röhrte er
wie ein Hirsch. Er kam ihr ungewöhnlich rege vor, als hätte er eine Überdosis
Antriebstabletten eingenommen.
    Während
sich Katrin anzog, ging er im Vorzimmer unruhig auf und ab. Einige Male
stürzte er sich wie ein Berserker auf seine Leberkäsesemmel, biss herzhaft
hinein und schleuderte sie gegen die Wand, wo ihr Wiehern mit einem Schlag
verstummte.
    Dann stand
er wie versteinert davor, zählte im Geiste bis fünf (sofern er so weit zählen
konnte) und besprang das wiehernde Plastik auf ein Neues. Hätte sie nicht
gewusst, dass Kurt so etwas niemals tun würde, hätte sie den Eindruck gehabt,
er spielte.
    Im Übrigen
war es an der Zeit sich einzugestehen, dass es bezüglich des Hundes Dinge gab,
die es zu überlegen galt, dachte Katrin. Zum Beispiel: Wie kam es, dass er bei
ihr ungestört übernachtete? Oder,

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