Glattauer, Daniel
noch viel interessanter: Was sollte jetzt mit
ihm geschehen? War das eigentlich ihr Problem? - Nein. War es das Problem des
Herren, dem küssen nicht guttat? - Jawohl. Konnte sie Kurt allein daheimlassen?
- Jawohl. Wollte sie ihn allein daheimlassen?
- Nein. Es
gefiel ihr, dass er bei ihr war. Er war bestimmt ein guter Ordinationshund. Er
sollte sie begleiten. Er gehörte vorerst zu ihr. Das gab ihr ein gutes Gefühl,
dabei verspürte sie eine Art liebevolle Rache. Damit hatte sie ihn irgendwie an
der Leine, dachte sie, Kurts Herrl, den Herren, dem küssen nicht guttat, diesem
Schwein!
Max hatte
eine schlaflose Nacht hinter sich. Abends nach dem Abgang bei Katrin fehlte ihm
alles, was einen Menschen ausmachte. Am wenigsten fehlte ihm Kurt, deshalb
ging ihm der Hund auch nicht ab. Erst als er seine Wohnung betrat und den
Sessel sah, unter dem Kurt nicht lag und nicht schlief, wusste er, dass er ihn
vergessen hatte, entweder im Park oder (ein schlimmer Gedanke in einem von
schlimmen Gedanken bereits reich bestückten Kopf) am Ort seiner schwersten Niederlage
in einer Liebesangelegenheit, dort, wohin es für ihn im Grunde kein Zurück
mehr gab.
Die
Polizei hatte keinen herumirrenden Hund gefunden, die Feuerwehr wollte keinen
suchen. Die Rettung wäre nur im Fall eines Tollwutbisses interessiert gewesen.
Fünf Abgängigkeits-E-Mails an Katrin verkümmerten im Netz. Ein Dutzend
Telefonanrufe versickerten in der Leitung. Es gab kein Freizeichen, nicht
einmal ein Besetztzeichen, gar kein Zeichen. Katrin und Hugo Boss junior
wollten offensichtlich nicht gestört werden. Wahrscheinlich küsste er gut.
Irgendetwas Anziehendes musste der geschleckte Mann ja haben.
So blieb
Max nur noch der Canossagang durch den Esterhazypark, um einen am Rande der
Liebestragödie auf der Strecke gebliebenen Hund zu suchen, der sich vermutlich
irgendwo eingegraben und zur Ruhe gesetzt hatte, der jedenfalls bestimmt kein
Problem damit hatte, verloren gegangen zu sein. Max fühlte sich auf erfrischend
winternächtliche Weise von seinem Kuss-Eklat abgelenkt. Besser konnte seine
Aus- oder Abgangssituation im Augenblick ohnehin nicht werden, also wurde sie
eben noch schlechter. Es war ihm, als würde er die gerechte Strafe für sein
stümperhaftes Versagen abbüßen. Und Buße in Form völlig sinnloser
Buschdurchforstungen um drei Uhr nachts hatte etwas Selbstreinigendes.
Da sich im
Park nichts rührte (Kurt also überall hätte sein können), näherte sich Max dem
Ausgangspunkt des Gescheitertseins. Je fünfmal schlich er um Katrins Häuserblock,
dreimal klingelte er an der Fernsprechanlage. Einige Male hob er den Kopf zum
ersten Stockwerk und rief »Kurrrrrt«. Es klang wie ein Rülpser eines halb
gefrorenen Graureihers. Aber selbst in hundertfacher Lautstärke hätte sich
nichts gerührt: Eher weckte man Tote auf dem Friedhof als Kurt in einer
Wohnung im ersten Stock, wenn man selbst auf der Straße stand.
Um 5 Uhr
früh beschloss Max, die Suche abzubrechen. Mit dem unerfreulichen Resümee, an
einem Abend Traumfrau und Hund verloren zu haben, legte er sich ins Bett und
schlief noch in der gleichen Minute ein.
Als er zu
Mittag erwachte, hatte er etwas zu erzählen. Er wusste auch sofort wem: Paula.
Sie war die beste und engagierteste Traumdeuterin, die er kannte. »Und wie
lief es?«, fragte sie am Telefon. »Nicht so ganz optimal«, erwiderte Max. Zum
Glück hatte sie am Abend Zeit, ihn zu besuchen und sich Details anzuhören.
»Paula, ich brauche ganz dringend deine Hilfe«, sagte Max. »Das freut mich«,
erwiderte sie nüchtern. Es freute sie mehr, als sie es zugeben konnte.
So, und
jetzt sofort zu Katrin: Die Telefonnummer von der Ordination hatte er. Was zu
sagen war, wusste er. Er fühlte sich von seinem Traum befangen, er war nicht
einmal aufgeregt, als er ihre Stimme hörte. »Hallo, ich bin es, Max«, sagte
er. »Hast du zufällig Kurt gefunden? Kann es sein, dass ich ihn bei dir
vergessen habe? Katrin, du musst mir glauben, ich habe die ganze Nacht versucht
...« Was war das? Da. Noch einmal das gleiche Geräusch. Und noch ein drittes
und viertes Mal. Es wollte gar nicht mehr verstummen.
»Katrin?«,
fragte Max. »Ich höre«, sagte sie amtlich. »Was ist das für ein Lärm?« -
»Kurt«, erwiderte sie scharf. »Das ist doch Hundegebell«, widersprach Max. »Das
ist Kurt!« Das klang leicht angespannt. »Ist er bei dir?«, fragte Max. »Kann
man sagen. Aber nicht mehr lange!« Das klang ziemlich angespannt. »Seit
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