Glattauer, Daniel
wann
kann Kurt bellen?«, fragte Max ungläubig. »Seit er meinen Patienten im
Warteraum die in Schleim und Speichel gehüllte Plastikleberkässemmel auf die
Schöße legt und wartet, bis sie sie durch den Raum schleudern. Und wehe, sie
tun es nicht. Dann grollt er wie ein Abfangjäger. - Keiner traut sich mehr, es
nicht zu tun.« Das klang gereizt. »Und wenn jetzt mein Chef hereinkommt und
die Aktion im Warteraum sieht, dann kann ich mir einen neuen Job suchen!« Das
klang sehr gereizt. »Nein, nicht ich werde mir einen neuen Job suchen, ihr
beide werdet mir einen neuen Job suchen! Und jetzt sei bitte so gnädig und hol
deinen Hund ab, sonst sitzt hier bald kein Patient mehr!« Das klang bedrohlich.
Max machte sich sofort auf den Weg.
Die
Begegnung mit Katrin in der Mittagspause war kurz. Max fand sie wunderschön
(weder die Begegnung noch die Mittagspause, sondern Katrin), aber das spielte
leider überhaupt keine Rolle mehr. Kurt war nicht wiederzuerkennen. Max
bemühte sich auch, ihn nicht wiederzuerkennen. Aber es half nichts, er war es,
und er erkannte seinen Besitzer wieder. Er sprang ihn an und schleckte seine
Wangen. Dann zeigte er ihm seine Leberkäsesemmel und was man damit machen
musste, damit er aufhörte zu bellen. Kurt auf den Beinen zu sehen, war wie eine
optische Täuschung, wie ein leichtsinniger Irrtum der Natur. Ihn bellen zu
hören, war einerseits irreal, andererseits real genug, um nicht länger als ein
paar Sekunden erträglich zu sein. »Hast du ihm etwas gegeben?«, fragte er
Katrin vorsichtig. »Nein«, sagte sie, »er ist derjenige, der gibt.«
»Katrin,
wegen gestern ...«, begann Max. »Lassen wir gestern«, sagte sie und lächelte
so, wie man lächelte, wenn man versuchte, so zu tun, als würde man tapfer
lächeln. In der Kombination mit diesem Gesichtsausdruck klangen die Worte wie:
»Wir können ja Freunde bleiben.« Vermutlich waren sie auch so gemeint.
»Was bin
ich dir wegen Kurt schuldig?«, fragte Max. »Die Reinigung«, erwiderte Katrin.
»Er hat neben mir in meinem Bett geschlafen.« Sie sah ihn von unten in die
Augen und ließ ihren Blick dort ruhen. Es war ein »Das-hättest-du-haben-können-du-Völlidiot«-Blick.
Max fühlte sich wie an die Hochspannungsleitung angeschlossen. Er hätte alles
dafür gegeben, wenn sie ihm jetzt ihre Hände auf den Nacken gelegt hätte und
mit allen zehn Fingernägeln ganz langsam seinen Rücken heruntergefahren wäre.
Aber das gab es nur im Traum.
»Adieu«,
sagte sie und reichte ihm die Hand. Er nahm diese in seine beiden Hände und
streichelte sie zart. Ihre Köpfe bewegten sich keinen Millimeter aufeinander
zu. Aber die Blicke waren ineinander verkeilt. Max spürte, dass es Sinn hatte,
um Katrin zu kämpfen. Er wusste zwar noch nicht wie. Aber er wusste, dass er
von vorne anfangen musste. Im Übrigen hatte sie magische Kräfte. Sie hatte
Kurt lebendig gemacht.
Noch bevor
Paula kam, hatte sich Kurt beruhigt. Die Wirkung der Droge, die er bei Katrin
eingenommen haben musste, hatte nachgelassen. Er ging noch ein paar Mal in der
Wohnung auf und ab, scheinbar um nachzusehen, was er die letzten beiden Jahre
hier versäumt hatte. Dabei schlich er sich von hinten an Max heran, blieb dann
minutenlang regungslos stehen und wartete, bis sich sein Partner umdrehte und
zu Tode erschrak. Auch forderte er an diesem Abend erstmals in der Geschichte
der Lebensgemeinschaft mit Max ein Nachtmahl (Wildbeuschel) ein, indem er an
der entsprechenden Küchenlade kratzte und schabte, bis sie sich endlich
öffnete. Doch nach dem Essen (er hockte diesmal makellos aufrecht, wie für Chappi-Dreharbeiten,
vor seiner Schüssel und aß deutlich lustvoller als sonst) erinnerte er sich
wieder an seinen eigentlichen Lebenssinn, legte sich unter seinen Sessel und
tauchte nur noch sporadisch auf, um Max zu erschrecken.
Paula war,
um dem mystischen Anlass der Traumdeutung gerecht zu werden, wie eine
orientalische Medizinfrau gekleidet und geschmückt. Ihr schmales Gesicht rund
um die großen dunklen Augen war silberweiß geschminkt, um ihren Hals und an den
Armen und Beinen hingen dicke Ketten mit großen, in Rottönen funkelnden
Steinen. Ihr Bauch war frei, vermutlich um den blau schimmernden Nabelring zu
belüften. Ihre dichten schwarzen Haare waren aus dem Gesicht nach hinten
gekämmt und zwischen den Schulterblättern gebunden. Von dort weg fiel ein geflochtener
Zopf bis zum Rockansatz.
Paula war
eine der Frauen, die auf keine Sitzgarnitur passten, die nicht
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