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Glattauer, Daniel

Glattauer, Daniel

Titel: Glattauer, Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Weihnachtshund
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steifgegelte »Mode-ist-wenn-man-vergisst«-Kurzhaarfrisur.
Eine Hand zur Faust geballt und in die Hüfte gebohrt. Ein Bein unter dem
Kostümsaum vorgestreckt, um der maßlos unterschätzten Erotik der heimischen
Natur-Wade zum Durchbruch zu verhelfen. - Ein Frauenbild wie ein Geständnis.
Sie war es. Sie hatte einst den kleinen Max in die Ohnmacht geküsst: Lisbeth
»Sissi, die Fette« Willinger.
    »Und?
Erinnerst du dich?«, fragte Paula. »Flüchtig«, sagte Max, um irgendetwas Kurzes
mit »Flucht« zu sagen, und hielt sich beide Hände vor die Brust, um die ersten
Donner- und Grollgeräusche einer herannahenden Gewitterfront zu erfassen.
»Sieht doch recht süß aus«, meinte Paula und klickte weiter. Der Projektor
schob Sissis Ganzkörperaufnahme zur Seite und hob den ausschnittsweise vergrößerten
Kopf hinein. Mit einem Leuchtstab zeichnete Paula Sissis Mund nach und meinte:
»Tadellos symmetrisch, nicht aufgeblasen, keine Ecken, darunter saubere schöne
weiße Zähne. Sag bloß, dir graust noch immer davor?« Max holte tief Luft und
sparte sich eine Antwort. Wenn sich beide nicht bewegten (weder er noch der
Mund auf der Wand), konnte er es noch einige Zeit hier aushalten.
    »So«,
sagte Paula. Das klang gefährlich. »Wir machen jetzt genau fünf Übungen.« -
Nein Paula, wir machen jetzt genau nicht einmal eine Übung!, dachte Max. Über
das Denken ging sein Widerstand aber nicht mehr hinaus. »Wenn dir übel wird,
dann klopfe dreimal mit der Faust auf den Boden, dann höre ich sofort auf«,
versprach Paula. - Max klopfte dreimal mit der Faust so heftig auf den Boden,
dass die Wände arabischen Rauch husteten. Aber Paula blieb gnadenlos bei der
Sache.
    Übung
eins: Der Kuss mit geschlossenen Augen. Max spürte, wie Paulas Lippen sich wie
eine drückende tropische Regenfront über seine legten - und klopfte dreimal.
Sie warf ihm einen hässlich funkelnden Indianerblick zu und machte weiter. Er
spürte ihre Zunge in seinem Mund. Sie war spitz, rau und erfreulich sparsam im
Umgang mit Speichel. Er wollte an Katrin denken, aber er war zu verschämt.
Stattdessen fiel ihm die stöhnende Natalie im feuchtfröhlichen Liebesrausch
ein. Und hinter ihr lauerte schon die fette Sissi. Sie sprang vor, hielt seine
Wangen zwischen je zwei ihrer Wurstfinger fest, sagte »Na, du Schlimmer« und
hauchte ihm ihr »Best of Mundgeruch, Junior-Edition« ins Gesicht. Max klopfte
dreimal. »Fünf Sekunden«, stoppte Paula, die Schinderin. »Eindeutig zu kurz.«
    Übung
zwei: Der Kuss mit geöffneten Augen. Der ließ sich gut an. Paulas Pupillen
waren groß und leuchteten wie Tautropfen im gelbgrünen Moos. Ihr Gesicht
spannte sich anmutig verklärt, wie das einer südamerikanischen Vollblutturnlehrerin,
die sich ihrem untrainierten europäischen Lieblingsschüler hingab. Max fühlte
im unteren Körperbereich Kräfte aufkommen. Da fiel ihm Samuel, ihr Freund, ein.
Was, wenn er sie so sehen würde? Was, wenn er jetzt hereinkäme? Bei dieser
Vorstellung hob sich ihm der Magen, darunter kam das Schweinsgesicht der fetten
Sissi zum Vorschein. Sie strich sich mit der Zunge über die Oberlippe und
wünschte ihm guten Appetit. Max klopfte dreimal. »Elf Sekunden«, sagte Paula.
»Besser mit offenen Augen als mit geschlossenen küssen, mein Guter.« - »Besser, DICH so zu küssen«, erwiderte Max. Sie
hatte sich ein Kompliment verdient, dachte er und atmete kräftig durch.
    »Jetzt
kommt die schönste Übung«, versprach Paula. »Du darfst deine Hände benützen.«
Max lächelte in gespielter Vorfreude. »Aber nur bis hierher«, ergänzte sie und
hielt ihre Hand wie eine Bauchtänzerin vor den Nabel. Diesmal schaffte er
beeindruckende zwanzig Sekunden. So lange brauchte er, um zu wissen, wo er
seine Hände hintun sollte, ohne Paulas Schönheit zu beleidigen, ohne die
Freundschaft zu sprengen, ohne die Prüfungssituation für libidinöse Zwecke zu
missbrauchen, ohne das Gefühl zu haben, Samuel mit ihr zu betrügen. An Katrin
war gar nicht zu denken. Sie wartete in einem anderen Sonnensystem - und
wahrscheinlich nicht einmal mehr auf ihn.
    Natürlich
hätte er Paula gerne auf den Busen gegriffen und wäre dort länger verweilt. Wer
hätte das nicht? Er war wahrscheinlich der einzige volljährige Mann der westlichen
Welt, der ihren Busen berühren durfte und es nicht tat. Es war allerdings gar
nicht leicht, auf ihrem Oberkörper eine Stelle zu finden, die von der Dominanz
und Ausbreitung des Busens ausgespart war. Er wusste, er ließ hier

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